04.02.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Giftschrankfilme« im »Cineplex«-Kino

Medienwissenschaftler Manfred Rüsel eröffnet VHS-Reihe mit NS-Propagandawerken

Warburg (WB). Mit zwei Aufführungen des Filmes »Hitlerjunge Quex« im Warburger »Cineplex«-Kino ist am Mittwoch die VHS-Reihe »Verführung der Jugend durch den Film im Dritten Reich« gestartet. Es ist das dritte Mal, dass eine Reihe mit so genannten »Giftschrankfilmen« in Warburg gezeigt wird.

Kino-Betreiber Dr. Heribert Schlinker hatte dazu am Mittwochabend den Aachener Medienwissenschaftler Manfred Rüsel eingeladen, der eine Einführung hielt und im Anschluss an den Film mit den zahlreichen vor allem jungen Zuschauern diskutierte.
Über die Gefahren, die heute noch von den NS-Propagandafilmen ausgehen können, sprach WESTFALEN-BLATT-Redakteur Jürgen Vahle mit Experten Manfred Rüsel.

Die Propagandafilme aus der Zeit der Zeit der Nazis werden als »Giftschrankfilme« bezeichnet. Warum ?Manfred Rüsel: Als »Giftschrankfilme« bezeichnet man jene NS-Propagandastreifen, die nicht ohne weiteres öffentlich vorgeführt werden dürfen. Wer sie arglos zeigt oder gar mit ihnen handelt, gilt nach deutschem Recht als Verfassungsfeind. Erlaubt ist ihre Vorführung nur, wenn dies zu Bildungszwecken geschieht, ein begründetes Anliegen besteht und ein Fachreferent - in diesem Fall ich - die Zuschauer vorbereitet und anschließend mit ihnen diskutiert. Offiziell werden solche Propagandawerke auch als »Vorbehaltsfilme« bezeichnet.

Wie viele dieser Streifen dieser Art gibt es noch?Manfred Rüsel: Etwa ein Dutzend. Drei der bekanntesten, »Hitlerjunge Quex«, »Triumph des Willens« am 16. Februar und »Kolberg« am 23. Februar, werden innerhalb der Reihe auch hier in Warburg gezeigt.

Welcher »Giftschrankfilm« ist der gefährlichste?Manfred Rüsel: Gefährlich, weil sehr manipulativ, waren sie zunächst mal in ihrer Zeit. Während »Hitlerjunge Quex« und »Triumph des Willens« insbesondere die NS-Ideologie verherlichen, sollte der kurz vor Kriegsende gedrehte Durchhaltefilm »Kolberg« auf den Volkssturm vorbereiten. Der schlimmste oder gefährlichste Film, der aber diesmal in Warburg nicht gezeigt wird, dürfte »Jud Süß« aus dem Jahr 1940 sein.

Warum?Manfred Rüsel: Darin werden alle Vorurteile und Ressentiments gegen Juden bedient. Er ist ein zutiefst antisemitischer Hetzfilm, der das Kinopublikum für den geplanten Genozid an den deutschen Juden vorbereiten sollte. Das besonders perfide daran ist, dass er - wie viele anderen Vorbehaltsfilme auch - in dem Mantel eines Unterhaltungskinos mit großem Staraufgebot daherkommt. Die Ideologie wird mit größtem ästhetischen Raffinement verpackt. das war das Ziel der NS-Filmemacher unter der Leitung von Josef Goebbels.

Welche Lehren können vor allem junge Zuschauer aus dem Film ziehen?Manfred Rüsel: Anhand der Vorbehaltsfilme können vor allem junge Zuschauer erkennen, wie die Verführung der Jugend im Dritten Reich funktioniert hat und welche Rolle die Medien dabei spielten. Deshalb ist es wichtig, die Propagandafilme in einem gewissen Kontext auch heute noch zu zeigen. Übrigens: Die in den Vorbehaltsfilmen angewendeten filmischen Mittel gibt es auch im modernen Kino noch. Nur die Feindbilder sind heute andere geworden.

Artikel vom 04.02.2005