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Büffel-Bissen als zarte Versuchung

Ausgefallenes Angebot: »Zur Linde« bietet Speisekarte mit elf Bison-Gerichten an

Von Marco Purkhart
(Text und Fotos)
Gütersloh-Isselhorst (WB). Stolze 328 Jahre hat die Gaststätte »Zur Linde« seit ihrer Erbauung 1677 hinter sich. Ein für Menschen unvorstellbares Alter, das in dem von massiven Eichenholzbalken gestützten, geschichtsträchtigen Gebäude am Isselhorster Kirchplatz steckt. Doch bei aller Tradition: Im Hause Ortmeyer erhalten auch Innovationen eine Chance - wie die neueste Speisekarte beweist.

Man muss schon zweimal hingucken, um zu glauben, was man dort liest: Inmitten von deftiger Hausmannskost und westfälischen Spezialitäten taucht auf der Karte ein DIN A4-Blatt auf, das - trotz seiner schwarz-weißen Schlichtheit - erstmal Verwunderung auslöst: »Bison-Spezialitäten«.
Doch sind die ersten Assoziationen von Büffel jagenden Indianern mit Pfeil und Bogen überwunden, wird prompt die Neugier geweckt: Die Speisen 520 bis 530, insgesamt elf Menüs, drehen sich komplett um die sonst nur aus Wild-West-Filmen bekannten Vierbeiner. »Eine ganze Karte voll mit Bison-Mahlzeiten, das gibt es nur in Leipzig und bei mir«, hält »Zur Linde«-Küchenmeister Rolf Ortmeyer junior sein Angebot deutschlandweit für ziemlich exklusiv.
Am 26. November begann das Experiment. Der Niehorster Bauer Hermann Birkenharke stellte auf seiner Farm eines der 15 Bisons zur Verfügung, um seinem Freund Rolf Ortmeyer neue kulinarische Wege zu ermöglichen. Das zweieinhalb Jahre alte Prachtexemplar wog gewaltige 400 Kilogramm. »Ich konnte den Brocken kaum transportieren. Und dann wusste ich nicht mal, ob die Leute mein neues Produkt überhaupt annehmen würden. Aber letztlich habe ich mich doch dazu entschieden, eine der beiden Hälften zu kaufen«, war sich Ortmeyer seiner Sache zunächst nicht ganz sicher.
Schließlich ist der gängige Marktpreis für Bison-Filet (45 Euro pro Kilo) kein Pappenstiel. »Ich hätte damit auch auf die Nase fallen können. Aber das Risiko und die drei Tage, die ich für die Zerlegung dieses Koloss investiert habe, lohnten sich vollauf!« Denn die aus ganz Ostwestfalen angereisten Gäste haben dem Chefkoch das Hacksteak, Gulasch oder den Sauerbraten der besonderen Art förmlich aus der Hand gerissen. »Ich hatte auch schon Känguru und Strauß. Aber das lief überhaupt nicht - ganz im Gegensatz zum Bison.« Was Ortmeyer keineswegs mehr verwundert.
Denn allein das Naschen bei der Zubereitung versetzte den 50-jährigen Isselhorster in einen förmlichen Bisonrausch: »Das Fleisch ist wunderbar zart, man braucht es kaum zu kauen. Und der Geschmack ist fantastisch.« Anregend sind auch die Nährwerte: Mit nur 42 Milligramm pro Gramm hat das Bison knapp die Hälfte des Cholesterins vom Schwein und fast doppelt so viel Eiweiß. »Diese Eigenschaften sind einzigartig.«
Ortmeyer muss es wissen. Der bekennende Feind von TV-Kochshows (»Zacherl und Co. - das ist doch alles nur Show«) schwang bereits für die deutsche Marine, im Bundesverteidigungsministerium und im Berliner Edelhotel Kempinski den Kochlöffel. »Ich habe schon alles im Topf gehabt. Aber beim Bison kann ich trotzdem einfach nicht widerstehen.«
Während der Küchenmeister Ortmeyer begeistert ist von seiner tierischen Errungenschaft, hat der fanatische Sammler (allein 250 historische Feuerwehrhelme befinden sich in seiner Obhut) Anlass zum Meckern: »Ich hätte gerne dem Schädel einen Platz zwischen meinen Hirschgeweihen gegeben. Aber wir mussten ihn verbrennen - Anweisung vom Veterinär.«
Immerhin durfte er das riesengroße, indianerzeltartige Fell behalten. Das prangt nun stolz an der hohen Treppe im Foyer der Gaststätte - und auch in Zukunft kann darunter stilecht Bison-Fleisch genossen werden. Ortmeyer hat nämlich neue Ware bestellt, nachdem der Vorrat Mitte Januar vorübergehend verbraucht war. Ab nächster Woche gibt's dann erneut bunte Bison-Variationen - auf einer Preisskala von 4,50 Euro für die Suppe bis 19,80 Euro fürs feinste Filetsteak. »Und im Februar hole ich mir wieder einen ganzen Büffel von Bauer Birkenharkes Farm«, kündigt Ortmeyer mit funkelnden Augen an. Wer nun Appetit verspürt, braucht sich übrigens um den Artenschutz keine Sorgen machen: Alleine in den USA und Kanada leben mittlerweile wieder 250 000 Bisons.

Artikel vom 01.02.2005