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Wolfram Kötter ist Pastor in der evangelisch-reformierten Petri-Gemeinde.

Gedanken zum Sonntag

Von Pastor Wolfram Kötter


Wenn Jesus vom Reich Gottes redet, tut er dies gewöhnlich in der Form von Gleichnissen. Sie bilden für Jesus die einzig angemessene Sprachform um zu sagen, was wir von Gott erwarten dürfen. Die Gleichnisse sind alle aus dem alltäglichen Leben genommen. Mitten im alltäglichen Leben gilt es, Gott zu entdecken. Wer sich so auf die Suche macht, Gott im Alltag der Welt zu entdecken, kommt gar nicht umhin auf sich selbst zu schauen, auf das Leben seines Nächsten und auf die Welt, in der wir leben. Gleichnisse wollen uns die Freiheit schenken, die ganze Welt als ein aufgeschlagenes Bilderbuch Gottes zu entdecken und zu betrachten. Und sich selbst auch unter diesem Aspekt zu sehen. Ich gehöre hinein in dieses Bilderbuch Gottes.
Wer mit den Augen Jesu die Welt als ein aufgeschlagenes Bilderbuch Gottes betrachtet, der kann gar nicht anders als ins Nachdenken zu kommen über all das, wo wir diesem Bilderbuch Gottes Schaden zufügen und Gewalt antun. Der mag aber auch aus dem Staunen nicht heraus kommen, ob der Fülle und der Schönheit, die wir finden können.
Ein solches Gleichnis finden wir im Markus-Evangelium: »Jesus sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mensch weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.«
Das Gleichnis vom Wachsen der Saat spricht von grundlegenden Vorgängen des bäuerlichen Lebens und der Natur und damit von elementaren Dingen menschlichen Lebens: vom Aussäen und Ernten, vom Schlafen und Aufstehen, vom Wachsen und Reifen. Und es geht natürlich bei unserem Menschsein immer auch um die Frage: Was ist richtig und was ist falsch? Was ist für unser Leben so wichtig, dass es unaufgebbar ist und auf was können wir verzichten?
Wenn wir uns als Menschen diesen Fragen stellen, kommt unwillkürlich die Gottesfrage ins Spiel. Und wenn es um Gott geht, geht es auch immer um das Reich Gottes, um seine Königsherrschaft.
Viele Menschen haben es unternommen, die Menschen auf den rechten Weg zu führen. Schon viele sahen das kommende Heil unmittelbar zum Greifen nahe. Angesichts der neuen nationalsozialistischen Tendenzen ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass vor 72 Jahren am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. Es waren auch viele Christen darunter, die diese Entscheidung begrüßt hatten, hatte er den Menschen doch kommendes Heil versprochen. Knapp eine Woche nach Hitlers Machtantritt erscheint auf dem Titelbild der Verbandszeitschrift der Deutschen Christen folgender Text: »Mit uns der Sieg, mit uns das Feldgeschrei: Deutschland erwache! Deutschland, du bist frei! Heute steht unser Führer Adolf Hitler als Reichskanzler an der Spitze . . . Nach all dem Kampf . . . falten sich für einen Augenblick unsere Hände und still zieht durch unsere dankerfüllten Herzen . . . dies schlichte Dankgebet: Nun danket alle Gott . . .«.
Wie viele falsche Propheten und Machthaber gibt es in der Geschichte der Menschheit. Doch niemand unter ihnen, ob Hitler, ob Saddam, und wie sie alle heißen mögen, sprach von der kommenden Größe und der Wahrheit des Reiches Gottes in Worten, die so sanft und so geduldig waren wie es Jesus im MarkusEvangelium tut.
Wer irdisch Macht haben oder behalten möchte, wer von uns auf die Sprache des amerikanischen Präsidenten achtet, wie er mit immer lauteren Worten den nächsten Krieg vorbereitet um sein Reich der Freiheit zu bauen, der kann nur staunen über die Worte Jesu. Wenn er vom Reich Gottes spricht, dann klingen darin Milde und Geduld an. So ganz gegen die Unruhe der Not, so ganz gegen die Ungeduld des Selber-Einschreitens richten sich diese ruhigen und vertrauensvollen Worte. Sie blicken auf das Allerwichtigste, das es in unserem Leben gibt: auf das langsame Wachsen Gottes in unserem Dasein. Darum geht es in diesem Gleichnis. Das ist das Provokante, dass Gott in uns wachsen will und alles andere, das über uns Macht zu gewinnen sucht, bedeutungslos wird.

Artikel vom 29.01.2005