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Der Tod kam im Jahr 1945 aus der Luft

Heute vor 60 Jahren starben bei Angriff in Herford-Stedefreund 35 Polen

Herford (bex). Es war eine der größten Tragödien in den Herforder Kriegsjahren. Heute vor 60 Jahren, am 27. Januar 1945, kamen bei einem Jagdbomberangriff in Stedefreund mehr als 30 polnische Kriegsgefangene ums Leben. An sie erinnert ein Grabstein auf dem Friedhof Ewiger Frieden - und das Bemühen von Gerhard Arnholz und Gerd Sievers.

Beide haben sich anlässlich des Jahrestages mit den erschütternden Ereignissen an der damaligen Bahn-Blockstelle 100 näher beschäftigt. »Sie war nicht weit von uns entfernt, in Höhe des Anwesens Wiedemann, und hieß so, weil dort der Vermessungsstein 100,4 stand«, erinnert sich Gerhard Arnholz, Anwohner des Hollinder Wegs. Die Blockstelle war ständig von einem Bahnbediensteten besetzt, meistens war es ein Stedefreunder aus der Nachbarschaft. »Ich denke gern an Besuche im Blockhäuschen zurück. Man ging eine sehr steile Treppe hoch, und wir durften dabei sein, wenn ÝOnkel WilliÜ die Signale stellte.«
Doch sollte der Platz schöner Kindheitserinnerungen am 27. Januar 1945 zum Tatort eines Massakers werden, das wohl auf einer tragischen Fehleinschätzung beruhte. Drei Jagdbomber der Alliierten griffen auf dem Bahnstück zwischen Unterführung Hollinder Weg und Blockstelle 100 in Höhe des Gehöftes Greßhöner eine Lok mit zwei flachen, offenen Güterwagen an, auf denen sich 93 polnische Kriegsgefangene befanden. Sie wurden von fünf deutschen Soldaten bewacht.
»Die Polen waren in der Gegend um den Viadukt in Schildesche eingesetzt, wo wegen der ständigen Angriffe über den Viadukt eine Nebenstrecke für Personenzüge gebaut wurde«, erklärt Arnholz. Die Tiefflieger eröffneten das Feuer auf die schutzlos ausgelieferten polnischen Arbeiter, die indirekt Verbündete der Angreifer waren und keine feindliche Truppen. »Die Polen versuchten sich zu retten, flüchteten Richtung Bahnunterführung, was vielen jedoch nicht gelang. Auf dem Weg dorthin wurden sie wie Vieh abgeknallt. Uns Kindern, die von der Stelle des Schreckens ferngehalten wurden, erzählte man, dass die Toten und Verletzten auf den Bahnschienen, an der Bahnböschung und unter der Bahnunterführung gelegen hätten. Offen bleibt die Frage, ob jemals Verantwortliche dafür zur Rechenschaft gezogen worden sind«, berichtet Arnholz.
Die Opfer wurden in einem Massengrab auf dem Friedhof Ewiger Frieden beigesetzt. Auf einem großen Stein mit polnischer Inschrift sind die 35 Namen der Getöteten genannt. »Es gibt auch Quellen, wie beispielsweise von Rainer Pape, die die Zahl der Opfer mit 31 angeben. Wahrscheinlich sind einige der 29 Verletzten in den Folgetagen aber noch verstorben«, vermutet Gerd Sievers. Fälschlicherweise wurde in der Grabinschrift der Angriff nach Brake verlegt.
Das Ereignis war jedenfalls von so großer Bedeutung, dass es sogar in dem viel beachteten Buch »Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-45« von Jörg Friedrich erwähnt wird. Der Autor spricht allerdings von einem Angriff am Bahnhof-Stedefreund. »Den hat es aber nie gegeben, gemeint war immer die Blockstelle 100«, stellt Sievers richtig.

Artikel vom 27.01.2005