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»Ich sehne mich
so nach allem...«

Theaterprojekt der Michaelsschule

Von Ricarda Dahm
Paderborn (WV). »Ich wünsche Ihnen nachdenkliche sechzig Minuten« - mit diesen Worten schickte der Schulleiter des Gymnasiums St. Michael, Thorsten Zingler, die vielen Zuschauer in die Aufführung »Anne Frank - Ein Theaterprojekt«.

15 Schülerinnen der achten bis zehnten Jahrgangsstufe hatten gemeinsam mit der Theaterpädagogin Kerstin Körner von den Westfälischen Kammerspielen Paderborn eine szenische Annäherung an die jüdische Tagebuchschreiberin entworfen und selbst inszeniert. Das Theaterstück beginnt zunächst mit Bildeinspielungen von Adolf Hitler - die Originaltöne seiner kalten Stimme und diktatorischen Absichten jagen dem Publikum den ersten kalten Schauer über den Rücken. Über eine vollbesetzte Aula legt sich gleich zu Beginn eine drückende Stille.
Die jungen Schauspielerinnen haben ihren ersten Auftritt beim Einzug in das Hinterhaus in Amsterdam. Hier wird die enorme Einschränkung im Alltag deutlich. Die Familien Frank und van Daan und Herr Dussel flüchten vor den Repressalien des Nazi-Regimes und sind trotzdem gezwungen, ein Leben unter ständiger Bedrohung zu führen. Jedes unbekannte Geräusch lässt sie erstarren und schweigen, und als Zuschauer wagt man es selber kaum noch zu atmen. Gleichzeitig versuchen die Bewohner in ihrem Versteck aber auch, die Hoffnung nicht zu verlieren und annähernd normal zu leben. Besonders verstärkt wird dies mit Textauszügen aus dem Tagebuch Anne Franks.
Die unerschütterliche Lebenslust und Vergnügtheit dieses jungen Mädchens mit Fragen, Träumen und Sehnsüchten verleihen dem Stück etwas Aufhellendes. Verdunkelt wird es aber oft genug, durch Toneinspielungen Hitlers, in denen er die Massenmorde am jüdischen Volk ankündigt. Dramatisch auch die Szene, wo die Hinterhausbewohner den Tag der amerikanischen Invasion feiern und kurze Zeit später ihr Versteck auffliegt.
Die Deportation ins Konzentrationslager Auschwitz wird mit Originalbildern und Geräuschen vom Fahren eines Zuges begleitet. Jeder Zuschauer ist für einen Moment seinen Gedanken und Vorstellungen selbst überlassen, und doch hat wohl jeder die grausamen Bilder vor Augen.
Die zweite Szene spielt im Konzentrationslager. Das Elend der Menschen durch brutale und menschenverachtende Behandlung wird oft ohne Worte deutlich. Wenn die Häftlinge ihren Schmerz herausschreien, wird die Stille der Aula unterbrochen und man bekommt eine Gänsehaut. Mit dem Tod Anne Franks und dem Auffinden des Tagebuchs endet dieses Theaterprojekt. Schweigend wird das Publikum erneut sich selber überlassen, um dann begeistert minutenlang für die Schauspielerinnen zu applaudieren.
Die Aufführung war ein weiterer Höhepunkt im Programm des Anne-Frank-Projekts. Die gleichzeitige Ausstellung »Anne Frank - eine Geschichte für heute« geht morgen zu Ende.

Artikel vom 20.01.2005