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Als im Ev. Krankenhaus noch
Schweine gemästet wurden

Dr. Siegfried Zierenberg schildert persönliche Erinnerungen - heute: Teil 1

Werther (WB). Es ist eine Sammlung persönlicher Erinnerungen, die Siegfried Zierenberg (89) in den vergangenen Monaten aufgeschrieben hat. 1957 kam der Internist nach Werther und wurde Chefarzt der Inneren Abteilung des Krankenhauses. Zahlreiche Höhen und Tiefen erlebte er mit, kämpfte bis kurz vor seiner Pensionierung im Jahr 1981 gegen die Kooperation mit dem Krankenhaus Halle. Im WESTFALEN-BLATT schildert Zierenberg seine Gedanken:

»Am 26. August 1957 übernahm ich die Leitung der inneren Abteilung des Krankenhauses Werther. Hier galt es, Aufbauarbeit zu leisten. Die chirurgische Abteilung war schon länger eingerichtet. Sie wurde von dem Chirurgen Dr. Rudolf Hahmeier geführt.
Die Mühlenstraße war noch nicht befestigt. Bei Nässe kamen nur Fahrzeuge mit Allradantrieb durch, wie etwa die Sanitätsfahrzeuge, und wir mussten für den Weg von und zum Krankenhaus festes Schuhwerk tragen.
Meine Abteilung verteilte sich sowohl auf den Altbau als auch auf den gerade fertiggestellten Neubau. Zu den Patientenzimmern im Altbau führte ein Aufzug. Er war alt und unsicher. Man ging besser zu Fuß die Treppe herauf. Liegende Patienten gelangten nur über den Aufzug nach oben, oder wir mussten sie hinauftragen.
Einige Patientinnen konnte in Zweibettzimmern untergebracht werden. Zusätzlich gab es ein großes Patientenzimmer mit vielen Betten. Manchmal mögen hier bis zu zehn Kranke gelegen haben. Es konnte passieren, dass alle Zweibettzimmer belegt waren und eine Patientin kam, die sofort aufgenommen werden musste. Ich konnte ihr nur vorschlagen, erst mit dem großen Saal vorlieb zu nehmen, bis ein Platz frei sein würde. Oft geschah es, dass die Patientinnen später doch im großen Saal- er wurde Tattasaal genannt - bleiben wollten. Man hatte an der Gemeinschaft Gefallen gefunden, sich angefreundet und gegenseitig geholfen. Nicht selten hörte ich am Abend gemeinsamen Gesang und freute mich über alte Volkslieder.
Die Führung im Pflegebereich lag in den Händen der Hausmutter, der Diakonisse Lotte. Auf den Stationen halfen uns die erfahrenen Diakonissen aus Bethel und freie Schwestern. Sie wohnten im Neubau. Ein Schwesternhaus hatten wir damals noch nicht. Die Stationsschwester - auch eine Diakonisse - wohnte auf der Station und war Tag und Nacht für ihre Patienten da. Es überraschte mich in der Anfangszeit, dass einige Diakonissen ihre Schwesterntracht mit einer normalen Arbeitskleidung tauschten. Sie ernteten in unserem Nutzgarten Beerenobst zum Einmachen - als Reserve für unsere Patienten. Auch gab es damals einen Schweinestall. Hier wurden von den Essensresten Schweine gemästet. Ich erinnere mich gerne an die Mitteilungen unseres Hausmeisters Herzog, der um die Zustimmung zum Schlachten der Schweine bat.
Die Küche lag im Erdgeschoss des Altbaus. Ein kleines Labor schloss sich unmittelbar an den Gang an. Eine chemisch technische Assistentin hatte hier ihr Reich, das oft heftig erschüttert wurde. Es klirrten die Gläser, wenn jemand den Gang benutzte. Trotzdem erhielten wir verlässliche Untersuchungsresultate.
Auch im Altbau befanden sich andere Technika wie die Röntgeneinrichtungen. Ihre Bedienung brachte mich oft ins Schwitzen. Im Vorraum wurden die Filme entwickelt, fixiert und getrocknet. Hier kleideten sich die Patienten auch aus und an. Wenn ein Patient im Dunkeln seine Jacke in den großen Bottich mit Entwickler tauchte, musste das unschuldige Personal einiges über sich ergehen lassen.
Im Nachbarraum befand sich mein Dienstzimmer. Doch ich besaß es nicht allein: Hier standen das Grundumsatzgerät und der Elektrokardiograph. Diese Geräte wurden oft benutzt, und es war immer etwas los. Viel Platz hatte ich nicht. Das Hin- und Herschieben meines Dienstsessels hatte bei der Enge hinter meinem Schreibtisch eine tiefe Rille in die Rückwand eingegraben.
Nebenan lag der OP-Raum, ein klitzekleines »OP-chen«. Aus einem Nebenraum mit Waschmöglichkeiten beobachteten die Ärzte die Patienten, die Schwestern bereiteten die Operation vor. Es wurde damals noch mit Äther oder Chloroform, narkotisiert. Anästhesisten oder Anästhesie waren noch unbekannte Begriffe.
Dr. Hahmeier war es, der das Belegkrankenhaus durch die Einrichtung einer chirurgischen Vollabteilung und d einer internistischen Hauptabteilung zu einem vollklinischen Krankenhaus umgestaltete. Auf Grund seiner Ausbildung konnte er Geburtshilfe und Gynäkologie auch in Werther in sein Programm aufnehmen. Darüber hinaus waren hier der Gynäkologe Dr. Blase aus Bielefeld und der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Drees aus Halle tätig. Damit war schon damals ein breites Angebot mehrerer Fachrichtungen zur Versorgung der Patienten sichergestellt.
Im ersten Jahr nach meinem Dienstbeginn herrschte in Werther wie überall in Deutschland die Grippe-Epidemie. Die innere Abteilung war stark belegt. An Spinaler Kinderlähmung erkrankte nur einmal ein Patient - die Schluckimpfung war damals noch in vollem Gange. Er konnte nach glücklicherweise günstigem Verlauf geheilt werden.
Ich hatte meinen Dienst zunächst allein und in allen Aufgabenbereichen ohne Assistenz durchzuführen. Die Familie Oberbiermann - das Schuhgeschäft in der Rosenstraße kennt ja jeder - kam mir sehr entgegen. Sie stellten mir ein Zimmer zur Verfügung. Wenn nachts bei ihnen das Telefon klingelte und die Nachtschwester anrief, weckte man mich, und ich konnte ohne großen Zeitverlust am Bett des Patienten sein. Einmal in der Woche übernahm Dr. Hahmeier für ein bis zwei Stunden die Aufsicht, und ich konnte meine Familie, die noch in Brackwede wohnte, besuchen.
Ich erhielt 1960 nach über zwei Jahren eine erste ärztliche Hilfe. Dr. Frentzen - später als praktischer Arzt hier tätig - trat zur Ausbildung für den Bereich der inneren Medizin bei uns ein. Er unterstützte mich in den zwei Jahren seiner Assistenz. Bis zu dem Zeitpunkt wurden unsere Instrumente auf den Stationen immer noch ausgekocht statt durch Heißluftsterilisation keimfrei gemacht zu werden. Das stellten wir nun auf allen Stationen um. Es gab damals noch keine Einmalinstrumente. Wir mussten deshalb die Injektionsspritzen auseinandernehmen, reinigen, die Nadeln oft mit einem kleinen Draht wieder durchgängig machen, die Nadelspitze auf einem Schleifstein schärfen und dann zum Wiedergebrauch sterilisieren.

Artikel vom 29.01.2005