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»Menschen zum Mitmachen anstiften«

Susanne Lindemann vor 100 Tagen zur Bürgermeisterin gewählt - LK-Exklusivinterview

Lübbecke (WB). Für die ersten 100 Tage nach ihrer Wahl zieht Susanne Lindemann eine positive Bilanz ihrer drei Monate Amtszeit. Trotz des Machtwechsels habe es keinen politischen Stillstand gegeben. Und sie fügt hinzu: »Es gibt keinen Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen«. Mit Bürgermeisterin Susanne Lindemann sprach LK-Redakteur Erwin Eisfeld.

Frau Lindemann, heute vor 100 Tagen sind Sie zur Bürgermeisterin gewählt worden. Wie sind Ihre ersten Eindrücke? Haben Sie sich Ihre neue Tätigkeit so arbeitsreich und zeitintensiv vorgestellt? Lindemann: Ja, habe ich. Trotzdem würde ich lügen, wenn ich sagte, dass es keine Umstellung war. Aber der Steuerzahler bezahlt mich anständig, und dafür kann er schon etwas Arbeit und Zeit von mir verlangen.

Welches Ereignis würden sie als das erfreulichste und welches als das negativste bezeichnen? Gibt es schon etwas, auf das sie stolz sind und von dem sie sagen können, dass sie maßgeblich an der Umsetzung beteiligt waren? Lindemann: Erfreuliche Ereignisse hatte ich reichlich. Eine Rangliste führe ich nicht. Das negativste Ereignis seit meiner Amtsübernahme ist eigentlich keins; am meisten stört es mich, wenn ich auf allzu abwartende Haltung stoße. Das beißt sich mit meinem Elan. Ich würde manchmal gern ein höheres Tempo anschlagen, damit die Dinge schneller in Bewegung kommen. Mein Vater hat immer gesagt: »Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz«. Ich bevorzuge Zufriedenheit - wo sie angebracht ist. Beim Zustandekommen der Stromnetzübernahme-Verträge ist das der Fall und bei der Ausschussbildung. Ich bin eine Teamspielerin. Es ist mir egal, wer das Tor schießt. Hauptsache, der Ball ist drin!

Wie zufrieden waren Sie bei Ihrem Amtsantritt mit der Leistungsfähigkeit der Stadtverwaltung? Gab es etwas zu verbessern oder haben Sie eine gut bestellte Verwaltung übernommen?Lindemann: Ich habe versucht, möglichst rasch alle Mitarbeiter persönlich aufzusuchen. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass wir Lübbecker uns glücklich schätzen können, so gute Leute in der Verwaltung zu haben. Meine Aufgabe ist es, den Laden so zu leiten, dass das bestmögliche Ergebnis dabei herauskommt.

Reicht das Verwaltungspersonal für die Aufgabenbewältigung aus oder wollen Sie zusätzliche Arbeitsplätze schaffen? Stichwort Hartz IV und ALG II?Lindemann: Zum 1. Januar 2005 sind zwei Kräfte zusätzlich eingestellt worden, um die Mehrbelastung aufzufangen. Weitere Stellen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht geplant.

Wie viel Freizügigkeit und Eigenverantwortlichkeit bei Entscheidungen räumen Sie ihren Mitarbeitern in der Verwaltung ein - oder geht grundsätzlich alles über Ihren Schreibtisch?Lindemann: Ich habe qualifizierte und engagierte Mitarbeiter, auf die ich mich verlassen kann. Wenn ich jeden und alles ständig kontrollieren wollte, wäre das dumm. Ich käme zu nichts anderem mehr und würde jede Motivation abwürgen.

Was ist für Sie Chefsache und was delegieren Sie auf Ihre Stellvertreter in Rat und Verwaltung?Lindemann: Ich kontrolliere die Umsetzung der Ratsbeschlüsse und kümmere mich um Personalentscheidungen. Fachübergreifende Probleme und Aufgaben kläre ich zusammen mit den Fachbereichsleitern so, dass das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden muss. Dinge, die aus der Bürgerschaft an mich herangetragen werden, delegiere ich an dafür kompetente Fachleute - und überprüfe anschließend, ob zur Zufriedenheit der Bürger gehandelt wurde. Chefsache ist die Repräsentanz der Stadt nach Außen: Wenn die Queen zu besuchen ist, mach' ich das selbst. Wenn die Bahn mitspielt, komme ich beim nächsten Mal vielleicht sogar an.

Frau Lindemann, Sie wollen die Stadtverwaltung neu strukturieren, insbesondere das Bauamt. Es soll wieder eine Leitungspersönlichkeit das Amt führen. Ist die Personalentscheidung schon gefallen - und wenn ja, mit welchem Ausgang? Werden auch andere Ämter umorganisiert?Lindemann: Wir brauchen keinen neuen Dezernenten. Vielmehr müssen die anfallenden Aufgaben besser konzentriert und organisiert werden, um Kapazitäten freizuschaufeln für den Bereich Stadtentwicklung. Da sind dicke Bretter zu bohren. Bei der Entwicklung der Verwaltung hin zu einem modernen Dienstleistungsbetrieb mit flachen Hierarchien sind wir auf einem guten Weg.

Auf Bundesebene bestimmt der Kanzler die Richtlinien der Politik. Wollen Sie diese Richtlinienkompetenz auf die Stadtebene adaptieren? Welchen Einfluss hat dabei Ihre Partei und Ratsfraktion auf Ihr Handeln?Lindemann: Die Richtlinienkompetenz hat allein mein Chef: der Bürger. Wenn eine Lehre aus dem Wahlergebnis zu ziehen ist, dann doch wohl die, dass Selbstherrlichkeit in Lübbecke nicht gefragt ist. Ich versuche die Menschen zum Mitmachen anzustiften und achte auf die Einhaltung der Spielregeln. Im Rat verstehe ich mich als Moderatorin und Impulsgeberin. Meine Aufgabe ist es nicht, nach der Farbe der Parteibücher zu schielen, sondern danach Ausschau zu halten, wer mit anpacken will und wer nicht. Die einen muss ich fördern, die anderen überzeugen.

Wie schätzen Sie den Umgang mit den Ratsfraktionen ein und wann ist bei Ihnen »Schluss mit lustig«?Lindemann: Ich habe den Eindruck, dass eine überwältigende Mehrheit des Rates an sachlichen Lösungen für die Probleme unserer Stadt interessiert ist. Das ist eine prima Grundlage für erfolgreiche Arbeit.

Wo haben Sie im Zusammenspiel von Rat und Verwaltung Defizite festgestellt und was versprechen Sie sich von der neuen aus SPD, Grünen und LK bestehenden Ratskoalition? Wie klappt nach 100 Tagen die Zusammenarbeit mit Handel, Industrie und Gewerbe? Welche Bedeutung messen Sie der Arbeit des hauptamtlichen Stadtmarketing-Mitarbeiters im Rathaus bei?Lindemann: Zu verbessern gibt es immer etwas, aber was das Zusammenspiel von Rat und Verwaltung angeht, sind das eher Kleinigkeiten. In der Kooperation mit Handel, Industrie und Gewerbe steckt noch jede Menge Potenzial, das abgeschöpft werden kann und muss. Da sind wir noch ganz am Anfang. Von der Ratskoalition wünsche ich mir den Willen und die Ausdauer, zum Wohle der Stadt die Ärmel hochzukrempeln. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich eine im Rathaus angesiedelte Stelle mit derart diffusen Aufgaben - Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in einer Person - kritisch sehe. Das war nie meine Wunschvorstellung und ist es bis heute nicht. Aber zu diesem Thema habe ich Gespräche mit allen Verantwortlichen vereinbart, denen ich nicht vorgreifen will.

Wo drückt in Lübbecke der Schuh zurzeit am heftigsten? Innenstadtbelebung, Verkehrsproblematik, Wirtschaftsförderung, Freizeitbereich: was muss kurzfristig und was kann mittel- bzw. langfristig erledigt werden? Kurzum: Welche Ziele haben oberste Priorität?Lindemann: Eine Gewichtung lässt sich hier nur schwer vornehmen. Die benannten Punkte greifen ineinander wie ein Räderwerk. Effektive Wirtschaftsförderung gibt es zum Beispiel nicht ohne einen eine belastbare Verkehrs-Infrastruktur. Gute Freizeit- und Kinderbetreuungsangebote und nicht zuletzt eine attraktive Innenstadt sind einerseits Ergebnisse guter Standortpolitik, andererseits sind sie standortfördernde Maßnahmen: Welcher Betrieb lässt sich schon in einer Stadt nieder, bei der man schon an der Fußgängerzone sieht, dass etwas nicht in Ordnung ist? Und welche Familie zieht in eine Stadt, in der die Kinderbetreuung nicht gut ist?
Schnellschüsse helfen uns nicht weiter. Wir brauchen langfristig tragfähige Konzepte. Denken Sie nur an die Gehwol-Fläche oder die Fußgängerzone. Da müssen wasserdichte Pläne her. Und nach meiner Vorstellung kommen Pläne dieser Tragweite nicht aus dem stillen Kämmerlein, sondern sind vom Bürgerwillen getragen. Mit einem »Bürger-Tipp« allein ist es nicht getan.

Sie setzen auf Harmonie und einen fairen Umgang miteinander. Glauben Sie, dass Sie das Klima im Rat nachhaltig zum Besseren wenden können?Lindemann: Ja.

Sie setzen auf Bürgernähe, bieten eine regelmäßige Bürgersprechstunde an. Konnten Sie bislang Rat suchenden helfen?Lindemann: Aber ja doch! Ich bin nicht der Weihnachtsmann und kann nicht jeden Wunsch erfüllen, aber ich gebe mir Mühe.

Was wünschen Sie sich am Ende ihrer ersten Legislaturperiode sagen zu können?Lindemann: Aufbruchstimmung vermittelt und so viele Weichen wie möglich richtig gestellt zu haben.

Zum Schluss: Wie bringen Sie Dienstliches und Privates unter einen Hut - Sie sind verheiratet und sind Mutter?Lindemann: . . . und die meisten meiner Kollegen sind verheiratete Väter. Würden Sie denen die gleiche Frage stellen, oder glauben Sie, dass es einen Unterschied macht, wer sich um den Abwasch kümmert? Trotzdem Danke der Nachfrage. Mein Mann und mein Sohn halten mir tapfer den Rücken frei.

Artikel vom 18.01.2005