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Revoluzzer der deutschen Bühne

Intendant des Berliner Ensembles Claus Peymann in Espelkamp

Von Henrike Kopmann
Espelkamp (WB). »Theater ist immer dagegen, immer in der Opposition«, so die »Kampfansage« eines umstrittenen und überaus streitbaren Intendanten. Am Samstagabend gab sich ein bekannter Name der deutschen Bühne im Neuen Theater in Espelkamp die Ehre: Claus Peymann erzählte von seinen Triumphen, Skandalen und Niederlagen.

»Ein Blick hinter die Kulissen des deutschen Spitzentheaters« - entsprechend dieser Zielsetzung fand sich das Publikum nicht in gepolsterten Sesseln ein. Stattdessen ging es auf die »Bretter, die die Welt bedeuten«. Vor noch geschlossenem Vorhang stieg die Spannung auf das »Schwergewicht des deutschen Theaters«, wie Margrit Harting den renommierten Intendanten ankündigte. Die Espelkamper Unternehmerin hatte das Gastspiel Peymanns initiiert. Fasziniert fragte sich die Ehrenvorsitzende des Volksbildungswerkes: »Wer ist dieser Mann?«
Schließlich sollte sich zumindest ein Teil des Mysteriums um den »Großfürsten der Schnürböden« aufklären. Dieser bewies gleich zu Beginn sein Talent zur Selbstinszenierung: Der Vorhang öffnete sich. Das auf der Bühne platzierte Publikum blickte in den blau beleuchteten Theatersaal. Aus einer der Mittelreihen aufstehend, begab sich Peymann zu einem kleinen Podest auf der Bühne. Seinen Ruf als »Schwergewicht der Theaterszene« könne er mit mehr als 90 Kilogramm durchaus bestätigen, so Peymann. Nach dieser selbstironisch-saloppen Feststellung zeigte sich Peymanns Passion für das Theater.
Mit leidenschaftlicher Originalität erzählte er vom Studententheater der 68er-Bewegung. Die Ära Adenauer sei für ihn mit Ängsten verbunden gewesen. Er habe restaurative Strömungen, eine neue Militarisierung und die Kriegsführung gefürchtet. Diese Kritik an Gesellschaft und Regierung sei nicht selten Ursache für seine Skandale gewesen. Erregung entstehe, wenn Alt und Neu zusammenstießen oder eine unangenehme Wahrheit ausgesprochen werde, so Peymann. Den Mut, eine unangenehme Wahrheit auszusprechen, bewies das »enfant terrible« insbesondere während seine 13-jährigen Intendanz am Wiener Burgtheater.
Die Uraufführung von Thomas Bernhards »Heldenplatz« wurde schon im Vorfeld als »unerhörte Nestbeschmutzung« wahrgenommen. Das sozialkritische Stück handelt von einem jüdischen Professor, der nach seiner Emigration im Zweiten Weltkrieg nach Wien zurückkehrt. Hier trifft er jedoch nicht auf geläuterte, sondern immer noch antisemitische Österreicher. Das Stück habe mit der »Verdrängungslüge« brechen sollen, Österreich habe sich nicht durch nationalsozialistische Propaganda hinreißen lassen. Dank gekonnter polemischer Übertreibung habe sich das Stück als mitreißende Komödie erwiesen, aus öffentlicher Erregung sei ein enormer Erfolg geworden. Lachen sei eben die stärkste Waffe.
Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard fand besondere Erwähnung. Ihn verband eine langjährige Freundschaft zu Peymann. In einem seiner Werke habe er die Aufgabe des Theaters dadurch definiert, die Menschen »an der Nase herumzuführen«. Es gelte, die lange Nase verlogener Überheblichkeit zu zeigen, Missstände bewusst zu machen. Das Theater solle die Regierenden kontrollieren und sich mit den Schwachen und Entrechteten solidarisieren. Heute befinde sich die Gesellschaft in einer Grundkrise. Das System des Kapitalismus samt Globalisierung und Leistungsdruck erweise sich nicht selten als unmenschlich und »morsch«. Ein Stück, das diese Konflikte aufgreift, könnte ein nächster großer »Reißzahn« sein, so Peymann, der nach eigenen Angaben gern als Revoluzzer auftritt.
Jedoch existiere in einer liberal-modernen Gesellschaft kein konkretes Feindbild, sondern vielmehr ein imaginärer Globalisierungs-Gigant. Unmenschliche Ausmaße der Globalisierung zeigten sich beispielsweise bei der Diskussion um die Schließung des Opel-Werkes in Bochum. In Detroit werde über menschliche Schicksale entschieden.

Artikel vom 17.01.2005