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Peitschenhiebe und
andere Schmerzen

Folge 9 der WB-Serie: Super, Ingo? - Voltigieren

Von Ingo Notz
Oppendorf (WB). Es gab bei uns immer zwei Gruppen. Die einen wollten Rock, wollten Roll, wollten die Welt verändern - die anderen voltigierten. Gut, es waren andere Zeiten, es war nicht gerade cool für männliche Teenager, in glitzernden Strumpfhosen auf Pferden zu turnen - und wenn ich einen Blick auf das Dress werfe, kann ich es noch immer ein wenig verstehen. Es waren halt die 80er. . . Jetzt haben wir 2005 und haben beides geschafft: Wir haben Rock, wir haben die Welt verändert. Hat ja keiner gesagt, dass jetzt alles besser ist. . . Aber, vor allem: Ich habe eine der letzten sportlichen Herausforderungen für Männer bestanden. Ja, und ich sage es, von hymnischen E-Gitarren-Riffs schwermetallig begleitet, voller Stolz: Ja, ich habe es getan, ja - ich habe voltigiert. . .
Manche Anfänger verwechseln offenbar immer noch Pferde und Zeitungsmenschen. . .
Zu meiner Zeit waren Cowboys noch Cowboys und Indianer noch Indianer. Und heute? Abahachi und Winnetouch pudern sich die Nase und eröffnen Stamm-Lokale - höchste Zeit, alte Rocker- und Cowboy-Vorurteile endgültig über Bord zu werfen. Und überhaupt: Winnetou auf Rih oder Old Shatterhand auf Hatatitla - mal sportlich betrachtet: Haben sie nicht in gewisser Weise auch voltigiert? Na also! Das reicht als Legitimation. Innerlich derart befreit, parke ich in Oppendorf meine 75 flotten schwarzen Pferdchen vor der Reithalle - und kriege gleich den ersten Befehl meiner Voltigierlehrerin Mareike Mimberg entgegen gebrüllt. »Hier rein. Kannst gleich die Hufe auskratzen.« Netter Empfang. Danke. »Das einzige, was ich hier gleich kratze, ist die Kurve«, denk' ich mir -Êund stehe dann doch grummelnd vor ihm. Ihm - das ist er, ein namenloser Vierbeiner. Entschuldigung, hier bin ich doch falsch? Ich hatte hier ein Luxusprogramm Voltigieren gebucht, nicht die harte Stallburschen-Lehre. Der Gedanke war noch nicht zuende, da hatte ich schon eine Bürste in der Hand und ein vierbeiniges Problem vor Augen. »Okay, dicker, brauner Freund, reden wir nicht lange »drumrum«, hier ist der Deal: Ich kenn' Dich nicht, Du kennst mich nicht. Tust Du mir nichts, tu ich Dir auch nichts - alles klar?« Es funktioniert. . . Doch die nächste Falltür knarrt bereits in ihren Angeln. »Da hinten liegt Dein Trikot!«. Was ich sehe, ist ein kleiner, weinroter Hauch von Nichts. Das ist mindestens zwei Nummern zu klein. »Egal, das dehnt sich. . .«, grinst Frau Mimberg. Sehr schön, sehr männliches Weinrot, danke. . .
Schnell ein T-Shirt - natürlich nur wegen der Kälte - übergestülpt und ab zu den Anderen in der Anfängergruppe des RV Wehdem-Oppendorf. Höchste Zeit für Aufwärmübungen. Es zieht und zwackt in den eingerosteten Gelenken. Das kann nicht gesund sein. »Wenn Du das schaffst, kannst Du auch Spagat«, höre ich die Kinder nur lachen. Entschuldigung, aber habe ich gesagt, dass ich das kann? In Eurem Alter gut und schön, aber ich bin vier- fünf Mal so alt wie Ihr - und da weiß man, was man nicht machen will. Dehnen gut und schön, aber ich sage nur soviel: Es gibt Übungen, die Mann, ungelenkig noch dazu, definitiv nicht machen will - oder machen sollte. . .
»Und Abgang« - das ist das Stichwort, das mich retten könnte. Ich mache auf dem Absatz kehrt und humpele Richtung Ausgang. Ein geradezu jämmerlicher Fluchtversuch. . . »Halt! Du bleibst hier!« Aus der Nummer komme ich wohl nicht mehr 'raus.
So! Ausgemacht waren erstmal Übungen auf dem Holzpferd, das bewegt sich ungefähr so schnell wie ich, das müsste perfekt passen. Holzpferd? Holzweg. . .! »Da ist das Pferd«, wird mir ganz charmant der Weg gewiesen - und das Pferd bewegt sich. . .   Und das nicht zu langsam. Die erste Übung gleich im Galopp. Da stimmt doch 'was nicht? »Naja, bei Dir fangen wir so an. Die anderen natürlich nicht, die starten im Schritttempo.« Das teuflische Grinsen habe ich gesehen. . . Danke, aber auf so eine Extrabehandlung hatte ich eigentlich keinen Wert gelegt! Irgendwie schaffe ich es dann doch ohne Hilfe auf's Pferd - und werde erstmal richtig durchgeschütttelt. Hey, das ist ja genialer als jedes Karussellpferd! Festhalten - und genießen. Das kann ja doch noch lustig werden. Ein Knallen, ein Schmerz reißt mich aus allen Western-Träumen. Hatte mich da gerade etwa eine Peitsche im Nacken getroffen? Träume ich? Nein. »Du warst eben zu langsam«, grient Mareike - mit mir kann man es ja machen. . . Der Abgang? Verletzungsfrei. Trotzdem werde ich ausgelacht. »Du warst schlecht!« Kinder sind ja so herrlich entwaffnend offen. . .
Die nächsten Grundübungen: Fahne, Liegestütz - mir ist mulmig, aber der Deal mit Wallach Obelix steht. . . Knien. Stehen. Ein sehr wackliges, kurzes Stehen. Dann wartet der Scheibenwischer auf mich. Mit »Schmackes« springe ich ab, hebe ab - und lande mit angezogenen Knien genau im Bauch des armen Vierbeiners. Ein klassischer Pferdekuss - oh Mann, hoffentlich nimmt er mir das nicht übel. . . Im vierten Anlauf und mit netter Hilfe - wie peinlich ist das jetzt - lande ich erneut auf dem Rücken, wo angeblich das Glück der Erde liegen soll. Stattdessen warten da jetzt noch Schwungübungen als Vorbereitung für Schere und Flanke. »Du fällst ja gleich hin!« Den Gefallen tue ich Euch dann doch nicht. Im Gegenteil. Den Abgang veredele ich mit einer Rolle vorwärts. . . »Wieso hast Du denn einen Purzelbaum gemacht? Das darfst Du nicht, wir machen heute keine Kür«, straft mich ein naseweiser Dreikäsehoch mit anklagendem Blick ab. Okay, Kleine, lass mich mal eins klarstellen! Die Goldene Regel lautet: Egal, was Du tust, egal, wie gut oder wie schlecht Du bist: Die Show muss stimmen. Also, verflucht, lass mir doch meinen spektakulären Purzelbaumabgang. . .
Und was meint Mareike Mimberg als Westfalenmeisterin zu meinen Aussichten im Hochleistungsvoltigieren? »Ich halte Dich zwar nicht gerade für großartig talentiert, aber nach ein paar Trainingsstunden mit mir sieht das anders aus. Es gab schon Schlimmere. Am Ende war Obelix nur ein wenig genervt. . .« Naja, bei dem Pferdekuss. . . »Aber Du bist lustig«, trösten mich Isi&Co. Immerhin etwas. Pferde sind ja cool - nur mit dem Turnen hapert es auf ihnen dann doch.
Glanzhose, Ballettschühchen (machen einen schlanken Fuß): Irgendwie hat mich die Welt verändert. Höchste Zeit, meinen Rücktritt vom Voltigiersport zu erklären. . . Irgendwann sind auch die frisch geholten Zerrungen im Adduktoren- und Abduktorenbereich wieder verschwunden - nur leider nicht ganz so schnell wie ich aus der Reithalle. . .

Artikel vom 14.01.2005