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Als die Stadt in Trümmer fiel

Erster schwerer Bombenangriff vor 60 Jahren - 900 Bombenopfer insgesamt

Von Andrea Pistorius
Paderborn (WV). Es war kurz vor Mittag am 17. Januar 1945, als »Primadonna« starke Fliegerverbände in Richtung auf »Konrad-Siegfried-2« meldete. Wenig später schlugen die ersten Bomben am Hauptbahnhof und im Südviertel ein. Paderborn erlebte den ersten schweren Luftangriff des Zweiten Weltkriegs. Mindestens 240 Menschen kamen ums Leben.

Bis zu diesem Schicksalstag war die alte westfälische Bischofsstadt weitgehend von Kriegszerstörungen verschont geblieben. Chronisten zählten bis Ende Oktober 1944 15 meist vereinzelte Bombenabwürfe, und sie notierten auch, dass allein im zweitletzten Kriegsjahr 100 Menschen den Tod fanden, doch die Paderborner fühlten sich noch relativ sicher. Luftschutzvorkehrungen für die Bevölkerung waren deshalb nicht angeordnet worden, trotz einiger strategisch bedeutender Angriffsziele wie Reichsbahn-Ausbesserungswerk, Panzerkaserne und Flugplatz, auf dem vermehrt Kampfflugzeuge stationiert wurden.
Doch es gab auch Paderborner, die der scheinbaren Ruhe nicht trauten. Sie hörten heimlich den Luftlagewarndienstsender mit dem Decknamen »Primadonna« ab, der auf dem Mönkeberg nahe der lippischen Stadt Horn postiert war. Wenn der Sender feindliche Flieger meldete, die sich »Konrad-Siegfried-2« näherten, dann gab es wenig später in Paderborn zumindest Voralarm. Der Code bezeichnete die Lage der Bischofsstadt auf der deutschen Landkarte nach den anfangs noch geheimen Koordinaten der Wehrmacht.
Am 17. Januar 1945 flog ein gewaltiger Verband mit fast 400 amerikanischen Bombern in tödlicher Mission in Richtung Paderborn. Zeitzeugen erzählen, dass der Himmel von Flugzeugen völlig bedeckt war und ein ungeheures Brausen und Dröhnen die Luft erfüllte. Die Maschinen kamen in acht Angriffswellen, bei denen die Besatzungen mehr als 1 000 Tonnen Spreng- und 48 Tonnen Brandbomben auf die schutzlose Stadt abwarfen. Am stärksten getroffen wurden die Südstadt, die Gebiete um den Maspern- und den Schützenplatz und das Bahnhofsumfeld.
Paderborn erlebte einen Schock: Viele Familien hatten Verletzte und Tote zu beklagen, viele wurden ausgebombt und standen nach kaum mehr als einer halben Stunde vor dem totalen Nichts. Panik ergriff die Überlebenden und es setzte eine Massenflucht in die umliegenden Dörfer ein. Wer keine Adresse außerhalb der Stadtmauern wusste, der fand in einer Auffangstelle vorübergehend ein Dach über dem Kopf.
Luftangriffe bestimmten seitdem das Leben in Paderborn, die Bevölkerung fror und hungerte und versuchte, sich irgendwie in den Trümmern einzurichten. Ungeachtet der verzweifelten Lebenssituation hielt die örtliche Parteiführung an heroischen Totenfeiern mit einem Meer von Hakenkreuzfahnen und verlogenen Durchhalteparolen fest.
Zwischen Januar und März 1945 wurden elf Großangriffe gezählt. Dabei kamen um die 740 Männer, Frauen und Kinder zu Tode; die genaue Zahl der Bombenopfer ist nicht bekannt, da sich auch Soldaten, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Flüchtlinge in der Stadt aufhielten. Die schwersten Folgeangriffe ereigneten sich am 10., 22. und schließlich am 27. März.
Die 500 US-Bomber, die am späten Nachmittag dieses Tages »Konrad-Siegfried-2« ansteuerten, hatten Paderborn als ganzes im Visier. Weite Teile der Stadt versanken im kaum 25-minütigen Bombenhagel in Schutt und Asche. Die Kriegschronik berichtet von 3 000 Bränden und 2 000 total zerstörten Gebäuden.
Über den Grund dieses vernichtenden Bombardements gibt es bis heute nur Vermutungen: Historiker halten es für wahrscheinlich, dass die letzten Nachschublinien der Wehrmacht in den Rhein-Ruhr-Kessel zerschlagen werden sollten.
Wenige Tage nach dem Großangriff war für Paderborn der Krieg zu Ende. Amerikanische Kampfverbände rückten am 1. April 1945, es war Ostersonntag, in die noch rauchende Trümmerwüste ein. Doch die Stadt war zu 85 Prozent zerstört und 900 Menschen hatten ihr Leben verloren.

Artikel vom 15.01.2005