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Möbelentwürfe
von Künstlerhand

Forscher-Duo auf den Spuren des Tischlerhandwerks

Von Ruth Matthes (Text)
und Oliver Schwabe (Foto)
Herford (HK). Zunächst war es der fast vergessene Beruf des Möbelzeichners, der das Interesse von Manfred Pirscher und Heinz Bohnenkamp weckte. Inzwischen haben sich die Mitglieder des Vereins für Herforder Geschichte weiter in die Materie vertieft und viel Wissenswertes über das zeichnende Tischlerhandwerk und die Kunsttischler der Region im 18., 19. und 20. Jahrhundert zu Tage gefördert.

Nachdem sie in ihrem vorigen Artikel für die Vereinszeitschrift »Remensnider« der historischen Entwicklung des Berufsstandes der Möbelzeichner nachgegangen waren (wir berichteten im Dezember 2003), richteten die beiden Herforder Heimatkundler ihr Augenmerk für ihren aktuellen Remensnider-Bericht zunächst auf das zeichnende Tischlerhandwerk. Wie zuvor stand ihnen dabei Sonja Langkafel, Kustodin der städtischen Sammlung, zur Seite.
»Während die gewerblichen Möbelzeichner meist im Auftrag größerer Firmen Möbel und ganze Zimmer-Einrichtungen für Kataloge und Musterbücher darstellten und bisweilen auch Entwurfszeichnungen anfertigten, zeichnete der einzelne Tischler Entwürfe und Möbel als reinen Selbstzweck und technische Grundlage für die eigene Möbelfertigung«, erklärt Manfred Pirscher. Im Familienarchiv ist er auf fünf typische Freihandzeichnung gestoßen, die ein Dortmunder Vorfahr Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Stichwort »Arbeiten meiner Profession« in seinem Wander- und Werkstattbuch festhielt. Solche Freihandzeichnungen wurden im Gespräch mit dem Auftraggeber von den gewünschten Möbeln angefertigt und mit diversen Hinweisen versehen. Für Gebrauchsmöbel des täglichen Bedarfs reichte diese Skizze aus. »In der Werkstatt erfolgte dann ein Aufriss im Maßstab 1:1 als Pflicht- und Kontrollmaß für alle, die am Möbelstück mitarbeiteten«, so Pirscher. Bei anspruchsvollen Kunden und größeren Objekten zeichnete der Möbeltischler selbst oder er ließ durch Architekten und Möbelzeichner die gewünschten Entwürfe erstellen. Die Einführung der Gewerbefreiheit Anfang des 19. Jahrhunderts brachte hier einen Wandel. »Je nach Neigung und zeichnerischen Fähigkeiten und mit neuen Erkenntnissen aus den Zeichenschulen versuchten nun einige Möbeltischler, besonders der Nachwuchs, selbst gestaltend tätig zu werden. Dabei halfen ihnen eine Reihe von Vorlagebüchern, wie »Kimbel's Journal für Bau- und Möbelschreiner« von 1843 oder »Stöckel's Atlas für Bau-, Kunst- und Möbelschreiner, Ratgeber und Rezeptbuch« von 1878. An der Tischlerfachschule in Detmold konnten sie sich seit 1893 weiterbilden und ihre Zeichenkunst und Möbeldarstellung vervollkommnen. So warb zum Beispiel die Herforder Bautischlerei und Möbelfabrik August Wolff Ww. 1891 mit dem Satz: »Musterzeichnungen stehen zu Diensten«.
Für Kunden mit höheren Ansprüchen produzierte die 1868 gegründete Firma August Stüssel, »Möbelfabrik und Werkstätten für moderne Wohnungskunst«, die mit dem Berliner Architekten Emil Freese zusammenarbeitete, wie in der Beilage des HERFORDER KREISBLATTes zur Gewerbeausstellung 1910 nachzulesen ist. Hier ist von drei »vornehmbürgerlichen Räumen« die Rede: »Schlafzimmer, Herren- und Speisezimmer üben offenbar eine besondere Anziehungskraft aus und auf allen Gesichtern glaubt man den stillen Wunsch zu lesen: Könntest du doch diese reizenden stimmungsvoll-traulichen Räume besitzen und bewohnen.« Auch die Ratsherren waren wohl dieser Meinung, denn auch mit dem Innenausbau des Herforder Ratssaals wurde die Firma Stüssel beauftragt.
Neben dieser Herforder Firma, die auch preußisch königlicher Hoflieferant war, existierten von 1812 bis 1964 in Detmold der fürstliche Hofmöbellieferant Christian Beneke und von 1863 bis 1928 in Paderborn die Firma Stadler, die gehobene Wohnkultur für Geistliche, den Adel und reiche Bürger fertigte und sogar Inneneinrichtungen für Passagierdampfer erstellte. Beiden Firmen möchten sich Pirscher und Bohnenkamp noch intensiver widmen.
Bei ihren bisherigen Nachforschungen auf den Spuren der Möbelzeichner stießen die beiden auf einen Berufszweig, der es auf dem Gebiet der Möbelzeichnung wie -fertigung zu höchster Perfektion brachte: die Kunsttischler. »Erste Hinweise erhielten wir bereits 2000 und 2001, als wir Kontakt mit dem Rietberger Stadtarchivar Manfred Beine aufnahmen«, erzählt Pirscher. »Er unterstützte uns mit einer Vielzahl hilfreicher Hinweise über den Möbelfabrikanten Philipp Ferdinand Bartscher und seine Manufaktur in Rietberg.« Sein Schaffen ist in dem Buch »Feine Möbel aus Westfalen«, herausgegeben von Stefan Baumeier für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Bartscher (1749 bis 1823) war als »Hochfürstlich Corveyischer und Hochgräflich Bentheimisch-Tecklenburgischer Hof- und Cabinetsmaler« sowie als Möbeltischler und -fabrikant höchst erfolgreich. Er stellte Kleinserien kunstvoller Möbel für Adel und gehobenes Bürgertum her.
Weitere namhafte Kunsttischler, in deren Entwürfen bereits die Kunstfertigkeit sichtbar wurde, fanden die beiden in der Kunsttischlerfamilie Budde, die seit 1681 in Warendorf existiert. Heute wird sie von Klaus Budde geführt, der sich auf das Restaurieren von Möbeln spezialisiert hat. Im Gegensatz zu Bartscher fertigte die Firma Budde nur Einzelteile auf Bestellung. »Ein Jahr lang arbeiteten drei bis fünf Gesellen an einem großen Schrank«, berichtet Pirscher. Die Arbeiten beider Firmen seien in Qualität und Stil vergleichbar mit der Wiener und Mainzer Schreinerkunst des 18. Jahrhunderts, die in ihrem Niveau Vorbildcharakter für viele Kunsttischler hatte.
»Auch die reichen Herforder bezogen wahrscheinlich von diesen Kunsttischlern ihre exklusiven Möbel«, so die Heimatkundler. In Herford selbst konnte sich jedoch kein kunstgewerblicher Tischler etablieren. »Schriftliche Überlieferungen über namhafte Kunsttischler in Herford oder Belege ihrer Arbeit finden sich weder in der städtischen Sammlung noch in den Unterlagen der Kreishandwerkerschaft«, mussten die beiden Forscher feststellen. »Dies ist eigentlich verwunderlich, da es in Herford ja schließlich lange eine Residenz gegeben hat«, urteilt Sonja Langkafel. »Die Begründung liegt wohl darin, dass die Stiftsdamen, die in Herford keine Anwesenheitspflicht hatten, ihre Möbel meist vom heimatlichen Hof mitbrachten.«
In Herford entwickelte sich hingegen ein anderer Zweig der Möbelindustrie prächtig. Gustav Kopka gründete 1861 eine der ersten Serienmöbelfabriken. »Mit der Fertigung der neuen Fabrikmöbel war er Vorbild für einige Neugründungen in Herford«, so Pirscher. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Herford 14 Möbelfabriken, nach 1920 wuchs die Zahl auf mehr als 20 an.

Artikel vom 07.01.2005