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Gesellschaftliche Isolation blieb

Der weite Weg jüdischer Emanzipation in Pr. Oldendorf bis 1914 - Folge 1

Pr. Oldendorf (WB). Für die neueste Ausgabe des »Minden-Ravensberger«, das Jahrbuch in Ostwestfalen, hat der Pr. Oldendorfer Stadtheimatpfleger Dieter Besserer einen Beitrag über »Jüdische Emanzipation in der Stadt Pr. Oldendorf bis 1914« unter dem Titel »Im Kriege und im Himmelreich, da sind sich Juden und Christen gleich« verfasst. Die LÜBBECKER KREISZEITUNG wird diesen Beitrag in mehreren Folgen veröffentlichen.Die Grabstätte der Familie Löwenstein auf dem jüdischen Friedhof in Pr. Oldendorf. Auf dem dritten Grabstein von links steht »Levi Abraham Löwenstein, geb. 1780, gestorben 1867«.Foto: Besserer

Mit der Verfassung von 1807 und den Verordnungen vom 27. Januar und 31. März 1808 erhielten in der französischen Schöpfung des Königreichs Westfalen die Juden die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie alle übrigen Bürger. Nunmehr waren die bisherigen preußischen »Oldendorfer Schutzjuden« bürgerlich frei. In der Praxis stand die neugewonnene Freiheit zunächst noch auf dem Papier.
Die ravensbergische Amtsstadt Oldendorf hatte schon im 17. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde. Seit 1740 gab es im Oldendorfer Berg den heute noch existierenden jüdischen Friedhof. Um 1793 wurde eine Synagoge mit Schule und Lehrerwohnung errichtet.
Im Mittelalter waren die Juden verfolgt, diskriminiert und sozial ausgegrenzt worden. An der Lübbecker Andreaskirche ist noch heute der Stein zu sehen, der an das Judenpogrom des Jahres 1350 erinnert.
Noch im Jahre 1451 verordnete der römische Kardinal Nikolaus von Kues bei seinem Aufenthalt in Minden, dass die Juden ab Weihnachten 1451 in der Stadt und im Bistum Minden an Kleid und Mantel einen aufgenähten safran-gelben Ring zu tragen hatten, während die Jüdinnen zwei blaue Streifen auf die Kleidung aufnähen mussten. Dadurch sollten Christen und Juden schon äußerlich unterschieden werden können.
Es handelte sich jedoch hierbei weniger um Antisemitismus oder Rassismus im heutigen Sinne mit seiner furchtbaren Ausprägung im Holocaust, sondern eine vom christlichen Glauben bestimmte Abgrenzung zwischen Christen und Juden.
In brandenburgisch-preußischer Zeit gab es Schutzbestimmungen für die Juden, die sich für hohe Geldsummen den Schutzbrief des Landesherrn erkaufen konnten. Ein solcher Schutzbrief ist für Salomon Levi von Februar 1677 für die Niederlassung in Oldendorf nachgewiesen. 1689 und 1691 ist schriftlich ein jüdischer Einwohner mit dem vermutlich verschriebenen Namen »Grosse Joel«, vermutlich Gerson Joel, schriftlich in Oldendorf erwähnt.
Auch noch nach der lutherischen Reformation wurde die Position der Abgrenzung zum Judentum nicht zuletzt auch durch Martin Luthers radikal gewandelte Haltung von 1543 gegenüber den Juden in der evangelisch-lutherischen Kirche beibehalten. Wenn auch die Juden erstmalig durch die Gesetzgebung des Königreichs Westfalen im Jahre 1808 alle bürgerliche Freiheiten und Rechte erhielten, hatten sich mehr als 1 000 Jahre kirchliche Abgrenzung auch in der Stadt Oldendorf ausgewirkt. Auch hier gibt es historische Hinweise für ein gespanntes Verhältnis zu den Juden.
Nach der Wiederinbesitznahme durch das Königreich Preußen erinnerte sich jedenfalls die preußische Finanzverwaltung an die neuen Bürger. So mussten im Jahre 1817 fünf jüdische Bürger in der Stadt Oldendorf das städtische Bürgergeld von 1807 bis 1817 nachzahlen, denn sie waren ja schon im Jahre 1807 Bürger der Stadt Oldendorf und ab diesem Zeitpunkt steuerpflichtig geworden.
Nunmehr zwar im Besitz fast aller bürgerlichen Rechte blieben die Juden in Oldendorf im gesellschaftlichen Umgang mindestens bei den kirchlich und politisch konservativ orientierten Kreisen isoliert. Hierfür sorgte vor allen Dingen auch die evangelische Geistlichkeit, der natürlich die jüdische Synagoge in der Nähe des Kirchplatzes ein Dorn im Auge war. Mühsam und dornenreich war daher auch der Weg der gesellschaftlichen Anerkennung der Juden in Oldendorf.
Aus einem Vertrag vom 18. August 1755 über die Rechte der Kirchhöfer auf dem Kirchplatz der Oldendorfer St. Dionysius-Kirche ist die scharfe Abgrenzung zu ersehen. Zum Leidwesen der Kirche war die Bürgerstätte Nr. 45 an der Südseite des Kirchplatzes, ein früherer Kirchhöfer, im Jahre 1699 von dem jüdischen Einwohner Gerson Joel erworben bzw. gepachtet worden. Im Vertrag vom 1755 wurde nun festgelegt, dass kein Jude von diesem Haus aus den Kirchplatz der St. Dionysius-Kirche betreten durfte. Man befürchtete wohl eine Entweihung des christlichen Kirchplatzes, der als Friedhof genutzt wurde.
In einem Rechtsstreit der Stadt Oldendorf mit der Kirchengemeinde Oldendorf im Jahre 1837 wegen der Nutzung des Kirchplatzes für den Johannismarkt ist eine interessante Episode über den Umgang mit jüdischen Bürgern überliefert. Die Stadt Oldendorf wurde in diesem Rechtsstreit durch den städtischen Vorstand und den Oldendorfer Verwaltungsbeamten Karl Kornelius Finke aus Gut Klein-Engershausen vertreten. Mitglieder des Oldendorfer Stadtrates waren in diesem Jahr die Bürger Werfel, Steinmann, Meyersiek, Althoff und der jüdische Bürger Löwenstein. Bei ihm handelte es sich um den im Jahre 1780 in Oldendorf geborenen jüdischen Kaufmann Levi Abraham Löwenstein, der in der von ihm erworbenen Bürgerstätte Nr. 11 an der heutigen Mindener Straße wohnte. Löwenstein war ein begüterter Kaufmann und wohlhabender jüdische Bürger und Kaufmann in der Stadt Oldendorf, wie aus seinen Steuerzahlungen und der aufwendig gestalteten Familiengrabstätte auf dem jüdischen Friedhof hervorgeht.
Für Pfarrer Karl-Ludwig Kunsemüller als Präsident des kirchlichen Presbyteriums war es unerträglich, dass ein jüdischer Bürger als Mitglied des Oldendorfer Stadtrates über Angelegenheiten des Kirchhofes der christlichen Oldendorfer St. Dionysius-Kirche beschließen konnte. Dies geht aus einem Schreiben des Pastors vom 17. März 1837 an die Stadt Oldendorf hervor: »Man könnte noch fragen was die Mitglieder des Stadtrates dazu sagen würden ... wenn namentlich der mitunterzeichnete Jude Löwenstein darin einwilligen sollte, daß der Juden-Leichenhof zum Marktplatz gebraucht werde.« Und weiter: » ... und es ist zum Erstaunen aufgefallen, daß jüdische Mitglieder des Stadtrates einen Beschluß fasssen über das Eigenthum der christlichen Kirchengemeinde«.
Kaufmann Levi Abraham Löwenstein fühlte sich durch die von der Kirche vorgenommene Titulierung »Jude Löwenstein« beleidigt und in seinen Bürgerrechten verletzt. Er beschwerte sich persönlich bei dem Oldendorfer Verwaltungsbeamten Finke und erhob Anspruch auf das Prädikat »Kaufmann Löwenstein«, wie dies auch bei allen anderen Bürgern üblich sei. Der Oldendorfer Stadtrat kündigte rechtliche Schritte gegen die von Pastor Karl-Ludwig Kunsemüller ausgesprochene Beleidigung durch den Ausdruck »Jude Löwenstein« an. Über den Ausgang dieser Angelegenheit, die Wellen bis zum Superintendenten des Kirchenkreises Lübbecke schlug, ist nichts weiter bekannt. Es gab also trotz aller rechtlichen Gleichstellung noch um 1840 gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber den jüdischen Bürgern vor allem in kirchlichen Kreisen.

Artikel vom 05.01.2005