31.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»1944 hofften wir auf Frieden«

Vlothoer erinnern sich an den letzten Jahreswechsel vor Kriegsende

Von Angelika Krückemeier
Vlotho (VZ). Weihnachten und Silvester 2004 sind für die älteren Vlothoer eng mit der Erinnerung an den letzten Jahreswechsel vor Kriegsende verbunden. »Es war eine traurige Zeit, und die meisten Menschen wünschten sich nur eines: Frieden«, sagt Elfriede Horn. Sie erlebte den Jahreswechsel vor 60 Jahren zusammen mit ihren Eltern auf dem Fährhof.

Silvesterfeiern habe es schon vor 1938 kaum gegeben und 1944 seien sie undenkbar gewesen, erinnert sich die Vlothoerin. Niemandem habe der Kopf danach gestanden: »Weil in fast allen Familien Sorge um die Väter, Söhne und Brüder herrschte, die an der Front waren.« Auch Elfriede Horn, damals noch Elfriede Klocke, war im Kriegswinter '44 ohne Nachricht von zweien ihrer drei Brüder. Was sie noch nicht wusste: Beide würden nicht mehr heimkehren.
Spätestens in diesem letzten Kriegswinter beginnt auch in Vlotho die Wahrheit über die militärische Lage ans Licht zu kommen. »Obwohl es streng verboten war, hörte meine Mutter heimlich die Radio. Und während von offizieller Seite weiterhin alles schön geredet wurde, begriffen wir allmählich, dass die Wirklichkeit ganz anders aussah.«
Die Menschen rücken näher zusammen und helfen sich untereinander. Soldaten, die zum neuen Jahr an die Front zurück müssen, kommen auf dem Fährhof vorbei, um sich bei Mutter Klocke einen selbstgebackenen Stuten abzuholen. So manche Bäuerin, die Butter hat, gibt ein Stück davon gegen Zucker oder Kleidung ab. Verwandte und Bekannte aus dem Ruhrgebiet, die auf der Suche nach Lebensmitteln nach Vlotho kommen, werden nicht abgewiesen. »Wir hier auf dem Land hatten ja fast alle einen Garten, ein paar Hühner und wenigstens ein Schwein im Stall. Es herrschte also keine Not an Lebensmitteln, und so mancher Großstädter fuhr mit wenigstens einem Beutel Kartoffeln wieder zurück«, weiß die 81-Jährige.
Ihre Familie hatte den großen Vorzug, dass der Vater Zugang auch zu Brennholz und Kohle hatte. So konnte der Herd in der Werkswohnung auf dem Fährhof immer beheizt werden.
Fritz Klocke war Gespannführer bei der Firma Ohle und Bonnemeyer, der die Zuckerfabrik, der Steinbruch und die Ziegelei an der Weserstraße gehörten. Vater Klocke war zuständig für die Warentransporte zwischen den Betrieben und zum Beispiel dem Bahnhof. Um näher am Arbeitsplatz zu sein, war die Familie im April 1939 vom Margarethenweg in die Werkswohnung auf dem Fährhof umgezogen.
Im letzten Kriegsjahr stellte sich dieser Wechsel allerdings als gefahrenvoll heraus, denn als die Bombenangriffe auf die Eisenbahnbrücke begannen, saßen die Fährhofbewohner mitten in der Abwurfzone. »Jeden Montag kamen schwere Angriffe auf Vlotho. Dann mussten wir türmen - entweder in Vollbrachts Eiskeller oder den Winterberg hinauf«, erinnert sich Elfriede Horn.
Zu dieser Zeit war ihr späterer Ehemann Heinz Horn von Kampfeinsätzen auf einem U-Boot bereits befreit. Der heute 85-Jährige war bis zur Kapitulation U-Boot-Ausbilder in Pillau. Im Winter 1947 heirateten der gebürtige Hamburger und die Vlothoerin. Beide leben seither im elterlichen Haus am Margarethenweg.

Artikel vom 31.12.2004