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Glocke läutet jetzt im Dorfmittelpunkt

Nach umfangreicher Restaurierung erhält Geläut in Fabbenstedt einen neuen Platz

Fabbenstedt (sw). Pünktlich zum Jahresende steht die Fabbenstedter Dorfglocke an ihrem neuen Standort mitten auf dem künftigen Dorfplatz an der Alten Schule. Im September war der Glockenstuhl, der bis dahin halb verdeckt hinter dem Umkleidegebäude stand und zusehends verfiel, abgebaut worden. Nach umfassender Restaurierung kann die Glocke nun wieder ihren Dienst tun.
Die Glocke trägt die Inschrift: »Angeschafft im Jahre 1929 - Heinri. Langewisch, Gemeindevorsteher«.

Mit ihrer neuen, gemauerten Umrandung komme die Glocke gut zur Geltung, meint auch Ortsvorsteherin Annelie Grothe. Sie ist der Geschichte der Glocke nachgegangen:
»Im Jahr 1929 wurde der Glockenstuhl mit Geläut auf einem Hügel in der Wiese von Hehmann Nummer 24 - heute an der Alsweder Landstraße - im Beisein von Gemeinderat, Pastor Voß, Lehrerschaft und vielen Dorfbewohnern eingeweiht. Die Glocke, von der Firma Korfhage in Buer gegossen, trägt die Inschrift: ÝAngeschafft im Jahre 1929 - Heinri. Langewisch, GemeindevorsteherÜ. Das Läuten übernahm die Familie Wilhelm Rüter.
Erst zwei Jahre zuvor hatten die Eheleute Rüter auf der gegenüberliegenden Straßenseite - heute Alsweder Landstraße 12 - ihr neues Haus gebaut. Wilhelm Rüter betrieb die Firma ÝMühle, Getreide und GemischtwarenhandlungÜ. Direkt daneben stand ein kleines Gebäude mit dem Leichenwagen. Ebenfalls im Jahr 1927 hatte Wilhelmine Hellweg ihren Neubau mit dem Geschäft ÝManufacturwaren, Betten und AussteuerartikelÜ errichtet. So entschied Vorsteher Langewisch Nummer 8 (heute Alsweder Landstraße 5): Hier ist die Dorfmitte. Hierhin kommt der Glockenstuhl.
Das Glockengeläut hatte drei unterschiedliche Funktionen: die Tagesglocke als Zeitangabe, die Todesglocke als Nachricht und Nachruf, die Alarmglocke als Notsignal. Wilhelm Rüter war zuständig für das tägliche dreimalige ÝKleppen der GlockeÜ morgens um 7 Uhr, mittags um 12 Uhr, abends um 19 Uhr. Dafür war seine Familie vom Bollwerken, der gemeinnützigen Arbeit an Straßen und Gräben, freigestellt.
Bei Feuer und in sonstigen Notfällen wurde durch schnelles Läuten Alarm gegeben. Jeder konnte den Glockenstrang ziehen. Bei Todesfällen wurde lange und langsam geläutet. Das war besonders anstrengend und verlangte vollen körperlichen Einsatz, denn die Kette musste ganz durchgezogen werden. Anna Vogt, geborene Rüter, Jahrgang 1919, erinnert sich: ÝErst mit 16 Jahren war ich stark genug, um überhaupt beim täglichen Kleppen zu helfen.Ü
Das Beerdigungsgeläut erfolgte am Tag vor der Bestattung mittags um 12 Uhr. Diese Tradition besteht bis auf den heutigen Tag. Damals wurde dazu am Tag der Beerdigung etwa eine halbe Stunde lang geläutet. So lange nämlich, wie der Leichenzug in Sichtweite der Glocke war. Für das Beerdigungsläuten erhielten Rüters als Entgelt zwei Reichsmark.
Die Glocke in der Dorfmitte - sie war beliebter Treffpunkt für Jung und Alt. Tagsüber spielten Kinder hier und beobachteten dabei das geschäftige Treiben vor der Mühle und den Einkaufsläden. Zu später Stunde traf sich hier die Dorfjugend. Und so manches Liebespaar hockte auf den Kreuzbalken unter der Glocke.
Nach Feierabend fanden sich die Älteren zum Klönen und Austausch von Neuigkeiten ein. Und manchmal war es besonders gemütlich. Dann nämlich spielte Wilhelm Rüter das Bandoneon und Tochter Anna die Ziehharmonika. Und wenn Wilhelm Horstmann Nummer 20 - heute Fünfhausen 2 - die Musik hörte, stellte er sich mit seiner Posaune in den Garten und spielte die Volkslieder mit.
Nach 20 Jahren nagte der Zahn der Zeit an den Eichenbalken des Glockenstuhls. Er verfiel zusehends. Nach Kriegsende und in den folgenden Aufbaujahren hatte man wohl andere Sorgen und auch kein Geld, um sich für Tradition einzusetzen und in den Erhalt zu investieren. Es war Ende der 50er Jahre, als Familie Rüter /Vogt es aus Sicherheitsgründen ablehnte, die Dorfglocke weiter zu läuten. Denn beim Ziehen des Glockenstrangs fielen inzwischen Bretter herab, und das bedeutete Gefahr für Leib und Leben.
Zu Beginn der 60er Jahre, vermutlich 1963, wurde die Glocke dann umgesetzt und mit elektrischem Läutwerk versehen. Ihren neuen Standort erhielt sie auf dem Schulgelände. Hier hatten sich inzwischen Schule, Sportplatz und Spielplatz zum Dorfmittelpunkt entwickelt.«
Das Läuten versahen die in der Nähe wohnenden Ortsvorsteher Heinrich Brinkmann, Wolfgang Heemeyer und Annelie Grothe, seit 2000 wieder Wolfgang Heemeyer.
Die Ortsvorsteherin berichtet weiter: »Als 1999 das neue Umkleidegebäude errichtet war, hatte die Glocke einen denkbar ungünstigen Standort - abseits in einer dunklen, feuchten Ecke, versteckt hinter Gebäuden. Besucher der Sportanlage konnten nur noch das Glockendach sehen.«
Eine Lösung des Problems ergab sich, als die Stadt Espelkamp 2004 nach zweijähriger Vorarbeit von vielen Vereinen und Gruppen 62 500 Euro zur Verfügung stellte und das Amt für Agrarordnung in Bielefeld sich mit einem Zuschuss in gleicher Höhe am Projekt »Erneuerung Dorfplatz Fabbenstedt und Umsetzung der Glocke« beteiligte. Im September baute die Frotheimer Zimmerei Waßmann den Glockenstuhl ab, restaurierte ihn und stellte ihn jetzt am neuen Standort wieder auf. In Zukunft soll die Glocke der Tradition gemäß läuten: mittags um 12 Uhr, abends um 19 Uhr und im Trauerfall mittags am Tag vor der Beerdigung.
Der Garten- und Landschaftsbaubetrieb Stephanie Woelk-Weigle sorgte für das erhöhte Fundament und ist noch damit beschäftigt, den Dorfplatz, die Parkplätze am Heideweg und die Zuwegung zum Gelände zu pflastern. »Im Frühjahr soll alles fertig sein, und dann feiern wir die Einweihung«, so Annelie Grothe.
Sie arbeitet noch an einem anderen Projekt: In der Alten Schule wird - als Gegenstück zum Alten Laden - eine Dauerausstellung zur Schulgeschichte eingerichtet, die eventuell zur Dorfplatz-Einweihung eröffnet werden soll. Vier Frauen sortieren, sichten und reinigen alte Schulmöbel, Griffelkästen, Ranzen, Bücher oder ähnliche Utensilien. Wer weitere Materialien zur Verfügung stellen möchte, kann sich an Annelie Grothe wenden.

Artikel vom 31.12.2004