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Schulpflicht: Fernschule
lehnt Schulbesuch ab

14 Bußgeldbescheide über 3500 Euro an Baptisten

Von Bernhard Liedmann
(Text und Foto)
Kreis Paderborn (WV). Bei den 14 Bußgeldbescheiden des Kreises Paderborn zur Erzwingung der Schulpflicht von 13 baptistischen Kindern wird es offenbar zu harten gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen. Der Leiter der »Philadelphia-Schule« mit Sitz in Siegen prognostiziert dem Schulamt des Kreises eine juristische Niederlage und lehnt den »Schulzwang« rundweg ab.

Der Kreis Paderborn hat vor Weihnachten an sieben Familien in Paderborn, Schloß Neuhaus, Sennelager und Buke Bußgeldbescheide über insgesamt 3500 Euro verschickt (Wir berichteten am 23. Dezember).
Die Eltern weigern sich hartnäckig, dass ihre Kinder die jeweilige Grundschule besuchen. Sie berufen sich unter anderem darauf, dass ihre Kinder über eine Fernschule zu Hause unterrichtet werden. Die Bußgelder sollen jetzt mit dem Ende der Weihnachtsferien am 10. Januar zwangsweise den Besuch der Schule durchsetzen. Am Ende des Maßnahmenkatalogs der Behörden stände dann die Entziehung des Sorgerechts.
Der Gründer und Leiter der »Philadelphia Schule« (freies christliches Heimschulwerk e.V), Helmut Stücher (71) prognostiziert dem Kreis-Schulamt in einer Erklärung unter Berufung auf zwei Präzendenzfälle das juristische Scheitern. So sei bei seinem eigenen Fall im Jahr 1983 in Siegen und einem ähnlichen Fall in Schloß Holte im Jahr 2000 das zunächst entzogene Sorgerecht an die Eltern wieder zurückgegeben worden. Der Kreis Paderborn werde das gleiche »Schauspiel« erleben. Derzeit betreue die Philadelphia-Schule mit zehn Lehrkräften bundesweit 150 Familien mit etwa 300 Kindern, 23 Familien allein in NRW.
Stücher in direkter Anwort auf die Begründung der Bußgeldbescheide durch Paderborns Kreisdirektor Heinz Köhler: »Dass die Kinder in den betreffenden Familien isoliert seien oder ihnen Bildungschancen verbaut würden, meinen nur die Leute, die die Heimschulbewegung nicht kennen. Auf die Ýsozialen KontakteÜ mit durch Sexunterricht, okkulten Praktiken et cetera verdorbenen Schülern legen diese Eltern und ihre Kinder keinen Wert. Der Erfolg schulischer Sozialisation kann man überall sehen, auf Betonwänden, an Bahnhöfen, und kürzlich an dem Brand einer Moschee.« Stücher zitiert abschließend aus dem Roman »Das bleiche Herz der Revolution« von Sophie Dannenberg, ein Kind der 68-er: »Ein Kind mit einer unschuldigen Seele ist viel gefährlicher ... Und wir wollen keine Unschuld zulassen, in diesem Land der Schuld.«
Die Philadelphia-Schule ist keine staatlich anerkannte Fernschule. Im September dieses Jahres hatte noch das Oberverwaltungsgericht in Hamburg geurteilt, dass der Unterricht zu Hause nach dem Unterrichtsmaterial einer freien christlichen Fernschule (Philadelphia Schule) keinen wichtigen Grund für die Befreiung von der Schulpflicht darstelle.
Sollten jetzt die sieben Familien im Kreis Paderborn nach den Weihnachtsferien der Schulpflicht nicht nachkommen, droht zunächst die zwangsweise Vorführung der Schüler in der Grundschule durch Ordnungsamt oder Polizei.
Der Kreis Paderborn überlegt derzeit, auch ein Bußgeldverfahren gegen den Verlag einzureichen, der in diesem Zusammenhang Schulmaterialen an die Familien liefert. In begleitenden Briefen dieses Verlages werden nämlich konkrete juristische Ratschläge an die Betroffen für diese Rechtslage gegeben.
Das gesamte Verfahren dürfte auch aufgrund dieses Umfang bundesweit zu einem Präzedenzfall werden. Siehe Politik Seite 2

Artikel vom 28.12.2004