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Leben mit der Krankheit
mit den 1000 Gesichtern

Mit MS-Kontaktkreis macht Lothar Schlickum anderen Mut

Von Klaudia Genuit-Thiessen
Halle (WB). Mit einer leichten Schwäche in den Beinen fing es an. Noch keine 30 Jahre war er, aber das Marschtempo seiner Kameraden konnte Lothar Schlickum nicht halten. Die Diagnose Multiple Sklerose - Jahre später - war schlimm, für den Kranken und für seine Familie.

Und es wurde noch schlimmer. Inzwischen ist der Gründer des MS-Kontaktkreises Halle im Haus per Rollator, draußen im Rollstuhl unterwegs. 66 Jahre ist er alt. Und sagt von sich: »Es geht mir gut. Ich möchte anderen Mut machen«.
Gekämpft wie
Don Quijote
An MS erkrankt und trotzdem ein lebenswertes und zufriedenes Leben leben - dass das möglich ist, hätte der gelernte Sparkassenbetriebswirt nicht gedacht, als die neurologische Krankheit mit den 1000 Gesichtern bei ihm ausbrach. 1983 war es, nachdem schon eine Sehnerventzündung und Mandelvereiterungen hinter ihm lagen. »Ich musste manchmal einen Ausfallschritt machen, um nicht ins Torkeln zu geraten. Zudem hörte sich meine Stimme verwaschen an.«
Wie soll es jetzt weitergehen?, fragte sich der Vater eines Sohnes. Nach der Diagnose in Bethel und einer Anschlussbehandlung rüstete der »Don Quijote aus Halle« sich für seinen Kampf gegen die Windmühlenflügel der Krankheit. Mit Macht kämpfte er gegen die Krankheit an, lief von Arzt zu Arzt, versuchte Therapie um Therapie. Bei der Sparkasse arbeitete er halbtags in der Kreditabteilung, so lange es noch ging.
Vier Jahre lang versuchte er es mit allen denkbaren Therapien. Schließlich akzeptierte er die Krankheit. Der Gedanke, eine Selbsthilfegruppe zu gründen, hatte in seinem Kopf Gestalt angenommen. 1985 hob er den MS-Kontaktkreis mit zwölf bis 15 Gründungsmitgliedern aus der Taufe. Und mit anderen Betroffenen nahm er gezielt Bewegung in Angriff: Regelmäßige Krankengymnastik gehört ebenso dazu wie der Spaß in einer Kegelgruppe, die in der Gaststätte Vögeding mit Hilfe eines Kegelbahnkugel-Abrollgerätes samt transportabler Rampe auf alle Neune zielt. Um Muskeln zu fordern, die sonst erschlaffen, trainieren MS-Kranke bei einer Hippo-Therapie ohne Sattel auf dem Pferd. Und unter dem Dach der TG Hörste gibt es Sport mit geschultem Fachübungsleiter und Arzt in Rufweite.
»Ich bin fest überzeugt davon, dass sich die Bewegung positiv ausgewirkt hat. Aber es gibt kein Medikament, um die Krankheit zu heilen«, weiß Lothar Schlickum. Mit Geduld und Würde versucht er heute, seine Krankheit zu tragen. Und auch mit einer Portion Gottvertrauen: »Ich fühle, dass Gott mir Kraft gibt, um meine Aufgaben auch zukünftig erledigen zu können«.
Rückschläge haben MS-Kranke nicht nur bei ihrer Krankheit zu erwarten, sondern auch im sozialen System. So hat der »Lebensbaum« in Werther seinen Fahrdienst inzwischen eingestellt, weil Zivis fehlen. Für MS-Kranke wie Lothar Schlickum wird es dadurch noch schwerer, im Rollstuhl am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Glücklicherweise gibt es auch Menschen mit Herz. Ein Lichtblick für Lothar Schlickum ist beispielsweise jeder Besuch im Gerry Weber Stadion oder Event-Center. Unentbehrliche Begleitpersonen von Rollstuhlfahrern haben nämlich dort freien Zutritt, wie Schlickum aus Erfahrung berichtet. Ein Stück Lebensfreude auch im Rollstuhl: Auf den »Zigeunerbaron« freut er sich jetzt schon«.

Artikel vom 24.12.2004