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Mit Päckchen
unterwegs in
die Karpaten

Hilfskonvoi in Rumänien - dritter Teil

Von Stefan Nölke
Versmold (WB). Vier Versmolder beteiligten sich dieses Jahr am Weihnachtskonvoi der Rudolf-Walther-Stiftung und des Round Table Deutschland. Rolf Nagel, Hans-Jürgen Meyer, Heinz Weigang und Stefan Nölke gehörten zu der Gruppe, die Geschenke in das Land brachte, das 2007 einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU stellen will. Mit einem Konvoi aus 13 Lastwagen wurden die Weihnachtspäckchen bis in die Walachei gefahren und an 30 000 Kinder in Schulen, Heimen und Krankenhäusern verteilt. Über den Hilfskonvoi berichtet der VERSMOLDER ANZEIGER in einer vierteiligen Serie.

Viele Kinder konnten wir heute in den Heimen in Lugoj beschenken. Gegen 23 Uhr, zurück in Temesvár, treffen wir im Restaurant Hercules die anderen zum Abendessen wieder. Die innere Uhr hat sich längst auf Fatalismus umgestellt. Es gibt Rindfleisch mit Kartoffeln. Der Blumenkohl ist rosa, die Tomaten blassgrün. Eine Band mit vier Keyboards spielt rumänische Weisen, bis wir gehen. Wecken um 4.30 Uhr. Eine andere Gruppe fährt um vier Uhr schon nach Deva ab. Bis um sieben Uhr sollen wir 1500 Päckchen in unseren Bus laden, was gar nicht möglich ist.
Der Bus bietet nicht genügend Platz. Also lassen wir die Zugmaschine mit Auflieger hinter dem Bus herfahren. Es geht in die Karpaten nach Anina. Eine Großstadt, die keinen Arbeitgeber mehr hat. Die Hütte ist fast stillgelegt. Nur das Bergwerk beschäftigt noch ein paar Leute. Trotzdem sind die Kinder gut angezogen. Besser als die Erwachsenen. Rumänien will in die EU, und dort achtet man in diesem Fall speziell auf die Behandlung der Kinder. Mit 18 Jahren fallen die jedoch aus den Statistiken heraus. Wir vermuten wieder.
Ich sehe auf der Fahrt zum ersten Mal das Land im Tageslicht. Es ist tropfnass. Ein Trecker pflügt in einer riesigen Wasserlache. Vor den niedrigen Häusern tiefe Gräben und eine Reihe Obstbäume zu beiden Seiten der Straße. An jedem Haus führen außen gelbe Gasleitungen vorbei, die immer wieder unterbrochen sind. Keine Endstücke. Das Gas ist abgestellt. Die Leitungen liegen brach. Gas wird jetzt in Flaschen gekauft.
Dann fahren wir höher. Hier liegt Raureif auf den Feldern wie in Ungarn. Die Hügel sind sanft und bis ganz nach oben mit Gras bewachsen. Heuschober. Vor einem Haus stehen zehn Stück davon in einer Umzäunung. So wie Hunde ihr Gebiet markieren, wurde an jeder Ecke Müll zurückgelassen. In der ersten Schule fällt mir auf, dass die Kinder mit unseren Päckchen in Scharen den Berg hinauflaufen. Tatsächlich ist dort oben unser nächstes Ziel. Die Kinder winken fröhlich, als wir mit dem Bus vorbeifahren. Vor 14 Tagen war hier alles zugeschneit. Noch Ceausescu hat dem Berg für seine Zwangsumsiedlungen ein Plattenbauviertel abgetrotzt. Die Hälfte der Blocks wurde nicht fertig gestellt. Es ist bitter kalt. Ein Mann kommt aus dem Wald und trägt Äste auf dem Rücken, die er gesammelt hat. Er wird eine der Wohnungen damit heizen wollen. Wie Ameisen kriechen die Kinder den Berg hinauf. Das wirkt gruselig, zumal der Nebel wieder hereindrückt. Viele Päckchen haben sie schon unterwegs geöffnet. Ich fotografiere Schrebergärten, die weiter unten liegen und voller Dreck sind. Der Haufen, auf dem ich stehe, ist gefrorener Müll. Als wir später ein Stück nach unten fahren, sehe ich oben einen Jungen mit einer blauen Winterjacke uns nachschauen. Die Bäume um ihn herum sind weiß gefroren. Der Junge winkt nicht und bleibt zurück.
Dann Industriebrachen in Anina, zu denen der schwere BMW nicht passt, der uns überholt. Wir beschenken eine weitere Schule. Der Bus und die Zugmaschine zwängen sich die engen Straßen hinauf. Die Hälfte der Kinder hat erst nachmittags Unterricht und wartet draußen, während wir drinnen durch die Klassen gehen. Ein Lehrer, der meinem alten Deutschlehrer ähnlich sieht, beaufsichtigt die Masse. Er hat die gleiche Ohrenmütze auf dem Kopf. Ein alter Mann, ganz grau im Gesicht und verhärmt. Die Kinder hat er im Griff, aber es macht ihm keinen Spaß. Er hatte wohl anderes erwartet vom Leben.
Eine andere Frau sagt, sie sei Deutsche. Ob wir Lebensmittel hätten. Leider nein. Die Päckchen sind nur für die Kinder da. Die Erwachsenen drehen sich weg, wenn ich sie fotografieren will. Nur ein Mann erlaubt es mir mit stummem Nicken. Die Kinder sind ganz wild darauf, fotografiert zu werden. Sie kennen das. Am Abend sind noch 30 Päckchen übrig. Ich steige in einen alten Dacia und bringe sie zu einem Kinderhospital, das mit dem Bus nicht zu erreichen ist. Dann ist Feierabend. Wird fortgesetzt

Artikel vom 29.12.2004