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Die Lösung kommt im Traum

Im Wachzustand bleiben emotionale Assoziationen im Dunklen

Hamburg (dpa). Eltern empfahlen ihren Kindern früher bei Verständnisproblemen mit Schultexten, das Buch vor dem Schlafengehen unters Kopfkissen zu legen - am Morgen hätten sie dann alles begriffen. Erfahrungen zeigen, dass diese Vorstellung vom Lernen im Schlaf nicht abwegig ist.

Der Astrophysiker Paul Horowitz von der Harvard University wusste zum Beispiel, was er tun musste, wenn er sich in ein Problem festgebissen hatte: Er legte sich schlafen. Er wusste: Im Traum fiel ihm die Lösung fast immer ein.
Das Journal »Psychologie heute« berichtet, wie neue Forschungsergebnisse solche Traumhilfen begründen. Etwa damit, dass das Gehirn während des Träumens neue Assoziationen finden und Lösungen aufzeigen kann, die im Wachen verborgen bleiben.
Der Harvard-Professor für Psychiatrie Robert Stickgold zeigte Versuchspersonen sowohl im Wachen wie auch gleich nach dem Erwachen aus einem Traumschlaf Wortkombinationen - ein Wort und gleich danach ein anderes Wort oder unsinnig zusammengesetzte Buchstaben. Die meisten Probanden konnten sich schnell an das zweite Wort erinnern, wenn es einen Zusammenhang zwischen den Wörtern gab, also etwa auf das Wort »richtig« das Wort »falsch« folgte. Bei den gerade aufgewachten Personen war das Gegenteil der Fall: Die nicht- logischen Kombinationen erzielten schnellere Reaktionen.
Stickgold vermutet, dass das träumende Gehirn »bevorzugt nach unerwarteten Wegen sucht und diese aktiviert, statt sich auf die üblichen, offensichtlichen Assoziationen zu beschränken«. Eine Erklärung dafür ist der Befund der Gehirnforschung, dass die Aktivität der Gehirnregionen für Kontrolle, logisches Entscheiden und gezielte Aufmerksamkeit während des Träumens heruntergefahren wird. Gleichzeitig werden die für Sensorik und Gefühle zuständigen Bereiche aktiviert.
Zusätzlich wird das Kurzzeitgedächtnis deaktiviert, so dass die emotionalen Inhalte von Erinnerungen übrig bleiben, der wache Inhalt aber nicht. Indem Träume die emotionalen Aspekte einer für uns wichtigen Angelegenheit erforschen, können sie Lösungen aufzeigen, die im Wachen nicht gefunden werden, folgern Traumtheoretiker. Die Harvard-Psychologin Deirdre Barrett bemerkte zum praktischen Nutzen: »Es gibt viele Situationen, in denen uns die Begrenzung unseres Wachzustandes in einem Problem stecken bleiben lässt. Ein Traum kann das Problem lösen.«
Sowohl »Psychologie heute« wie auch »Gehirn & Geist« erwähnen in ihren Beiträgen das luzide Träumen oder Klarträumen: ein Zustand, in dem sich der Träumer, obwohl er schläft, darüber klar ist, dass er träumt, und dabei auch bewusst entscheiden kann, was er träumt.
Klarträumen ist erlernbar. Menschen wie Künstler oder Schauspieler schaffen es schneller als extrem realistische. Hilfreich ist, sich auch am Tag die Frage zu stellen: Wache oder träume ich? Der Sinn dabei ist, die Frage einzuüben - so lange, bis sie »automatisch« auch in Träumen auftaucht, erläutert Holzinger.

Artikel vom 15.06.2005