12.01.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Noch einmal Schwein gehabt

Die Suche nach einem moralischen Umgang mit Haus- und Nutztieren

Von Rudolf Grimm
Hamburg (dpa). Die meisten Menschen haben eine Zuneigung zu Tieren. Gewöhnlich wird bei ihren Bekundungen aber nicht deutlich, ob sie Tiere überhaupt lieben oder nur einige, etwa Hunde, Katzen oder Wellensittiche.

Praxis ist: Einige Tiere werden umsorgt oder gar verhätschelt, andere, zu Millionen, gequält oder umgebracht. Gibt es eine verbindliche Ethik für das Verhalten des Menschen zu Tieren?
Dies ist das Thema des neuen Buches des Rechts- und Sozialphilosophen Norbert Hoerster (Reichenberg/Unterfranken): »Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik«. Der Autor will den Begriff der Würde als Ausgangspunkt der Tierethik nicht gelten lassen. Also die Berufung auf eine Würde des Tieres und die nicht seltene zusätzliche Berufung auf die Würde des Menschen, mit der es unvereinbar sei, Tiere auf bestimmte Weise zu behandeln. »In den meisten Fällen hat das Wort ÝWürdeÜ kaum mehr als die Funktion einer Worthülse oder Leerformel«, schreibt Hoerster.
Der Philosoph geht in seiner Argumentation streng rational vor. So versucht er zu zeigen, dass sich Tierschutzforderungen weder auf religiöse Normen noch auf eine »mystische« Ethik etwa im Sinne von »Ehrfurcht vor dem Leben« stützen lassen. Als einzige rationale Basis des Tierschutzes lässt er eine altruistische Einstellung zum Wohl des Tieres gelten. Auf ihr lasse sich zwar kein generelles Tötungsverbot begründen, wohl aber die Verpflichtung zu einer Rücksichtnahme auf die Leidensfähigkeit von Tieren.
Von großer Bedeutung für den Umgang mit Tieren ist nach seiner Auffassung, dass Tieren eine bewusste Zukunftsbezogenheit ihres Erlebens fehlt. »Sie können keine Pläne schmieden und verfolgen, die über die ganz unmittelbar bevorstehende Zukunft hinausgehen. Insofern kann das Tierindividuum von einer Zusprechung und Institutionalisierung individueller Rechte auch gar nicht profitieren.«
Auf dieser Basis kann auch eine Tötung von Tieren nicht mit der Tötung von Menschen gleichgesetzt werden. Zum Töten von Tieren zum Zweck des Fleischverzehrs macht Hoerster auf etwas aufmerksam, das von ethischen Vegetariern übersehen werde: »Durch die menschliche Gewohnheit des Fleischverzehrs von Tieren wird die Quantität und damit der Gesamtwert tierischen Lebens in Wahrheit nicht etwa gemindert, sondern im Gegenteil vergrößert.« Die meisten Tiere, die wir essen, wie Schweine, Rinder und Geflügel, hätten ohne diese Gewohnheit das Licht der Welt nie erblickt, schreibt er und verweist auf die Feststellung des englischen Autors Leslie Stephen: »Wenn alle Menschen Juden wären, gäbe es keine Schweine.«
»Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik«, Verlag C.H. Beck, 108 Seiten, 9,90 Euro

Artikel vom 12.01.2006