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Ein Leben ohne Uhr und Kalender

Zum Jahresende ist Gleichstellungsbeauftragte Heike Huschauer im Ruhestand

Von Bärbel Hillebrenner
(Text und Fotos)
Bad Oeynhausen (WB). Über ihre Funktion haben früher viele gelacht. Das tut heute niemand mehr. »Man hat wohl die Notwendigkeit erkannt«, sagt Gleichstellungsbeauftragte Heike Huschauer. Viele Steine musste sie anfangs aus dem Weg räumen. Heute, nach neun Jahren, ist die Berechtigung ihrer Arbeit selbstverständlich. Zum Ende des Jahres ist ihr Schreibtisch leer: Dann geht Heike Huschauer in den Ruhestand.

Der Beginn eines neuen Lebensabschnittes wird mit einem Ritual begangen, sagt sie: »Ich nehme meine Armbanduhr ab und lege den Terminkalender weg.« Beides waren unangenehme Erfordernisse ihres Arbeitsalltags. Unangenehm waren auch einige Begleiterscheinungen, als sie ihre Stelle im Rathaus antrat: Viele Politiker - natürlich Männer - hielten die Position für überflüssig. Der Gesetzgeber aber hatte sie den Kommunen auf's Auge gedrückt. Und der damalige Stadtdirektor Klaus-Walter Kröll hatte sie mit den Worten begrüßt: »Ich brauche Sie nicht. Ich bin selbst der beste Gleichstellungsbeauftragte.« Heute lacht Heike Huschauer darüber.
Starke Unterstützung habe sie dagegen von den Frauen aus der Politik und aus anderen Institutionen bekommen. Sie nennt Namen wie Toni Fritz, damals Bürgermeisterin, und Gerda Wagner von der Volkshochschule. Mit ihnen und anderen engagierten Frauen hat die Gleichstellungsbeauftragte schnell ein breites Netzwerk geknüpft und einen Frauenförderplan aufgestellt.
Heike Huschauer sieht sich selbst nicht als Feministin, aber an Frauenthemen sei sie immer interessiert gewesen, schon in der Schule. Sie käme aus einer Generation, in der Gleichberechtigung nicht selbstverständlich gewesen sei. In ihrer eigenen Familie sei das Wort Emanzipation ein Fremdwort gewesen. So habe sie auch keine Ausbildung bekommen, keinen Beruf erlernen können. Gelernt habe sie durch das Leben selbst.
Dass die Gleichstellungsbeauftragte nicht nur für Frauen in der Verwaltung eine Ansprechpartnerin ist, das hat sie vor neun Jahren erstmal ordentlich publik machen müssen. Zwar sei sie in ihrer Funktion auch für Männer zuständig, die seien aber mit eigenen Problemen nicht zu ihr gekommen. Die besuchten sie nur, wenn sie sich für Frauen stark machen wollten, für Kolleginnen oder Nachbarinnen. »Die Menschen sind aufmerksamer geworden, sowohl für Misshandlungen und für häusliche Gewalt in der Familie als auch für Mobbing im Beruf«, berichtet die 60-Jährige.
Mit ihrer Arbeit, mit Vorträgen, mit Besuchen in Vereinen und Verbänden hatte Heike Huschauer Erfolg. Erntete sie zunächst Skepsis, vor allem auch bei älteren Frauen, würde heute viel Zuspruch von deren Seite kommen. Den größten Widerstand spüre man von jungen Frauen. »Die haben keinen Leidensdruck, für sie sind Emanzipation, Studium oder Berufsausbildung normal. Erst wenn sie nach der Kinderpause zurück in den Job wollen, dann tun sich Probleme auf«, sagt Heike Huschauer.
Neben beruflichen Nöten aber sind Folgen von ehelichen Trennungen, häusliche Gewalt und Bevormundung die häufigsten Gründe, warum Frauen aus allen sozialen Schichten in das Büro in der Bahnhofstraße 47 kommen. Die Box mit den Kleenextüchern steht immer auf dem Tisch, »es wird oft geweint«, so Huschauer. Viel Einfühlungsvermögen und Verständnis musste sie für diese Frauen haben - und hat sie auch bis heute. Es wird keine Akte angelegt, es werden keine Vorwürfe gemacht, es wird nicht aktiv in die familiären Probleme eingegriffen. Heike Huschauer: »Man sollte den Frauen zuhören, ihnen bewusst machen, was sie selbst tun können, um ihre Situation zu ändern. Viele haben jedoch nicht den Mut dazu.« Ihre tyrannisierenden oder schlagenden Männer verlassen, das können nur wenige. Manche Frauen hat sie all die neun Jahre lang begleitet. Sie nennt Zahlen: 597 Gespräche hat sie mit Frauen außerhalb der Verwaltung, 263 mit denen in der Verwaltung geführt. Unter ihrer Initiative und Mitwirkung wurden der Frauen-Förderplan, die Frauen-Geschichtswerkstatt, die Mädchenwoche und die Frauen-Neujahrsempfänge eingeführt.
Ein bisschen Wehmut ist mit dabei, wenn sie zum 31. Dezember ihr Berufsleben als Gleichstellungsbeauftragte beendet. Denn schließlich hinterlasse sie in ihrem Amt viele menschliche Schicksale. Andererseits aber freue sie sich »wahnsinnig« auf die neue Zeit in ihrem Leben - ohne Uhr. In den Tag hineingammeln, das aber käme nicht in Frage. Sie hat viel vor: Gemeinsam mit ihrem Mann Detlef Beck will sie umziehen - in den hohen Norden Englands. »Die Landschaft, die Menschen und überhaupt das andere Leben dort gefällt uns beiden sehr«, sagt Heike Huschauer. Jedes Jahr sind sie dorthin, nach Süd-Yorkshire, gefahren, sie kennen sich bereits gut aus. Dort wird sie fotografieren, eine ihrer Leidenschaften. Fotos von der künftigen Heimat hatte sie in ihrem Büro immer direkt vor Augen, an der gegenüberliegenden Wand hängen. Außerdem will sie in England Deutsch unterrichten - und Tai Ji, das tut sie schon hier beim Kneippverein in Bad Oeynhausen. Tai Ji, das ist für die 60-Jährige nicht nur eine Methode zur Entspannung, sondern eine ganze Lebenshaltung.

Artikel vom 27.12.2004