15.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Vertrackte Familienverhältnisse

Susanne Uhlen begeisterte in »Der Beweis« in der Stadthalle Residenz

Von Wolfgang Braun
Höxter (WB). Beweise sind gut, Vertrauen und Glauben sind besser. So jedenfalls könnte man die Lehre aus David Aulburns Schauspiel »Der Beweis« lesen, das in einer Inszenierung des Tournee-Theaters Euro-Studio Landgraf am Montagabend in der Stadthalle Residenz in Höxter zu sehen war.

Das mehrfach preisgekrönte, vor vier Jahren in Manhattan uraufgeführte Stück, spielt nicht unbedingt in einer uns Alltagsmenschen vertrauten Welt. Denn es geht um Mathematik . . . und um Geisteskrankheit. Durchaus angelehnt an reale Vorbilder, so an das Schicksal des genialen Mathematikers John Forbes Nash jr, der an Schizophrenie erkrankte, aber trotzdem 1994 einen Nobelpreis erhielt, erzählt das Stück von dem Mathematiker Robert - sehr eindrucksvoll gespielt von Gerhard Friedrich - und seiner Tochter Catherine (Susanne Uhlen), die ihn jahrelang aufopferungsvoll pflegt. Das Stück setzt ein, als Robert stirbt. Catherines Schwester Claire (als durchsetzungsstarke Karrierefrau ohne viel Phantasie und Einfühlungsvermögen: Ruth Elisabeth Spichting) erscheint ebenso auf der Bildfläche wie der junge Mathematiker Hal (jungenhaft sympathisch, aber von seiner Wissenschaft besessen: Ralph Martin), der in Roberts Notizbücher nach etwas für seine eigene Karriere Verwertbarem sucht. Claire hat Angst, dass Catherine ebenso wie ihr Vater schizophren wird. Nicht ohne Grund: In der Eingangsszene plaudert Claire munter mit dem Verstorbenen. Nicht selten ist ihr Verhalten bizarr, schroff , »abnormal« und nicht so ohne weiteres nachvollziehbar. Weil sie Hal liebt, vertraut sie ihm ein Notizbuch an, in dem sie einen lang gesuchten mathematischen Beweis ausgeführt hat. Doch er glaubt ihr nicht, dass diese epochale mathematische Leistung ihre Arbeit ist. Weil sie ihren Vater pflegen musste, hatte sie ihr Mathematikstudium abbrechen müssen. Catherine gerät erst recht unter Verdacht, verrückt zu sein und der Pflege zu bedürfen. Und als Frau hat sie in der universitätsfixierten Männerwelt mathematischer Koryphäen ohnehin keine Chance.
Beeindruckend, wie Susanne Uhlen dieser sehr differenziert angelegten Rolle gerecht wird, wie sie die Catherine mal mädchenhaft, mal dem in seiner Krankheit kindischen Vater gegenüber mütterlich resolut, oder in Phasen tiefer Verzweiflung und Verstörung glaubhaft spielt.
Das Stück, mit seinen Rückblenden zurück zu dem schwierigen aber auch zeitweise glücklichen Zusammenleben von Vater und Tochter, mit seinen überspannten Personen und seiner auf Verzögerung statt auf simple Spannungsbögen setzende Dramaturgie, stellt das Publikum vor Herausforderungen. Das eigentliche Thema, die Frage, wer hat den Beweis geschrieben, Vater oder Tochter, klingt erst kurz vor der Pause an. Der Schluss, in dem Catherine und Hal sich nach einem von wechselseitiger Lernfähigkeit getragenem Dialog zusammentun, um gemeinsam den Beweis zu überarbeiten und seine Teilrechnungen eleganter auszuführen, ist nur ein halbes Happy End. Denn Hal glaubt Catherine erst, als unabhängige Gutachter nachgewiesen haben, dass die geniale mathematischen Entdeckung von ihr stammt - obwohl die Schrift die ihres Vaters zu sein scheint. Ein eigenwilliger Psychothriller in einem vom Zerbrechen bedrohten Familienmilieu. Viel Beifall am Schluss dieser Inszenierung mit ihren vielen schauspielerischen Glanzleistung in der mit vierhundert Personen sehr gut besetzten Stadthalle.

Artikel vom 15.12.2004