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»Titanic ist wie eine
Jahrmarkts-Attraktion«

Wrack-Entdecker Robert D. Ballard entsetzt

Von Wolfgang Schäffer
London (WB). Robert D. Ballard ist entsetzt. »Aus der Titanic hat man eine Jahrmarkts-Attraktion gemacht.« Das Wrack des am 15. April 1912 gesunkenen Luxusliners, das er als Grabmal ansehe, sei zu einem Ausflugsziel verkommen.

Vor 19 Jahren hatte Ballard, Direktor des Instituts für Archäologische Meereskunde an der Universität von Rhode Island, 550 Kilometer vor Neufundland den einstmals »schwimmenden Palast« in einer Tiefe von 3800 Metern auf dem Meeresboden entdeckt. 1985 war er als Mitglied eines französisch-amerikanischen Forschungsteams zur Entdeckungsreise aufgebrochen, jetzt kehrte er zurück, um sich, wie er in der Dezember-Ausgabe von »Nationale Geographic«, schildert, selber ein Bild vom Zustand der »Titanic« zu machen. Gemeinsam mit Kapitän Craig McLean, dem Leiter der Meeresforschungsabteilung der Nationalen Meeres- und Klimabehörde der USA (NOAA), hatte Ballard die Expedition organisiert. Schließlich ist es auch die NOAA, die seit Jahren an einem Entwurf für ein internationales Abkommen zum Schutz der »Titanic« arbeitet.
Dass dieser Schutz dringend notwendig ist, daran besteht für den »Titanic«-Entdecker kein Zweifel.
»Die Schäden am Wrack sind beträchtlich«, erklärt Ballard nach seiner Visite. Abgesehen davon, dass sich das private Bergungsunternehmen RMS Titanic legal Tausende von Gegenständen aus dem gesunkenen Schiff »angeeignet« habe, würden immer wieder Tauchboote an der »Titanic« anlegen. Beispielsweise hätte sich ein Paar aus New York in einem solchen Gefährt auf dem Vorschiff des havarierten Luxusliners das Jawort gegeben. Und just diese Tauchboote sind es nach Ansicht Ballards, die den Verfall des Wracks massiv beschleunigen. Direkt hinter dem ersten Laderaum habe er drei Tauchbootlandestellen erkannt. Nicht weit davon entfernt sei er 1986 mit dem Tiefseetauchboot »Alvin« angekommen. »Damals war ich mir der Auswirkungen dieser Landung nicht bewusst. Heute ist der Schaden offensichtlich. Leuchtend gelbe Flecken geborstenen Eisens mit schwarzen Flecken in der Mitte machen es den Bakterien noch leichter, die Schiffswand anzugreifen«, erklärt Ballard. Diese Organismen, so schätzt ein Wissenschaftler, entziehen dem Wrack täglich um die 45 Kilo Eisen. An einer beliebten Anlegestelle für Tauchboote, in de Nähe des Eingangs zur großen Freitreppe, hat der Robert D. Ballard ebenfalls gravierende Zerstörungen gesehen. »Das Deck stürzt hier allmählich ein. Die schweren Gefährte sind wie Elefanten im Porzellanladen.«
Fassungslos erzählt der Meereskundler auch, dass der Boden rund um das Wrack mit Abfall übersät ist. Alles liege voller Kettenhaufen und Sandsäcke, die einmal als Ballast gedient hätten. »Die Titanic ist zur einer Fundgrube und zum Abenteuerspielplatz verkommen«, macht Ballard seinem Entsetzen Luft. Dennoch sei das Schiff noch immer eine große alte Dame, auch wenn »Grabräuber einen Teil ihres Schmucks geraubt« haben. Er ist zudem sicher, dass die Daten, die bei der Expedition gesammelt worden seien, bei künftigen Erhaltungsstudien hilfreich sein werden

Artikel vom 11.12.2004