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Gutachter
einschalten

Alkoholiker untersuchen

Enger (cl). Richterin Judith Warner zeigte bemerkenswertes Verantwortungsgefühl, als sie nach zweieinhalbstündiger Verhandlung das Strafverfahren gegen den 48-jährigen Gerd F. (Name geändert) aussetzte, um einen Sachverständigen einzuschalten.

Die mehr als zwei Handvoll Zeugen, die nach zweistündiger Wartezeit unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt wurden, mögen diese Entscheidung subjektiv bedauern, aber sie bewies Sorgfalt und Fingerspitzengefühl der jungen Richterin.
Gerd F. macht so ziemlich alle ratlos, die mit ihm zu tun hatten und haben: Er hat eine medizinisch diagnostizierte tief gehende Persönlichkeitsstörung, leidet unter Psychosen und trinkt phasenweise exzessiv viel Alkohol - eine katastrophale Kombination.
Die Entscheidung des Gutachters wird aber eine zweischneidige Sache: Stellt er eine völlige Schuldunfähigkeit fest, wäre eine geschlossene Unterbringung die Folge. In den vergangenen Jahren einigte man sich vor Gericht meistens auf einen »faulen« Kompromiss: Man nimmt nur verminderte Schuldfähigkeit an, dafür bekommt Gerd F. wieder einmal Bewährung. Verteidiger Ulrich Kraft möchte unbedingt einen erneuten Gefängnisaufenthalt für seinen Mandanten vermeiden: »Dort muss er überhaupt nicht mehr an sich arbeiten. Solange er keinen Ärger macht, kann er seine Zeit in der Zelle verbringen, wie er möchte.«
Doch die Richterin mochte diese Marschroute nicht mitgehen: »Der Angeklagte steht schon unter zwei Bewährungen - und wir verhandeln jetzt wieder über 16 Straftaten aus den vergangenen eineinhalb Jahren: Das ist der Bevölkerung nicht mehr zu vermitteln!«

Artikel vom 06.12.2004