04.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Bürgerlich und unternehmerisch

»Die Tenges« prägen die ostwestfälische Wirtschaftsgeschichte - Buch vorgestellt

Von Monika Schönfeld
(Text und Foto)
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). »Es ist sehr interessant, ein Tenge zu sein.« Claus Friedrich Tenge-Rietberg (42), Unternehmer in der Finanzdienstleistungsbranche in Bielefeld, tritt in 13. Generation in die Fußstapfen seiner Ahnen. Sein Vater, Carl Friedrich Tenge-Rietberg (71), hat am Freitag in Schloß Holte-Stukenbrock die von ihm in Auftrag gegebene Geschichte der Unternehmerfamilie »Die Tenges - 400 Jahre Unternehmer in Osnabrück und Ostwestfalen« vorgestellt. Autor ist der Bielefelder Historiker Dr. Frank Konersmann.

Obwohl es sich um eine Auftragsarbeit handelt, hat Tenge-Rietberg auf die wissenschaftliche Arbeit keinen Einfluss genommen. Bei dem im Verlag für Regionalgeschichte in Gütersloh erschienenen, 248 Seiten starken Werk handelt es sich um eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, die sich dicht an den Unternehmerpersönlichkeiten aus der Familie Tenge orientiert. Der Direktor des Landesarchivs beim Landschaftsverband Westfalen Lippe in Münster, Dr. Horst Conrad, arbeitet seit 30 Jahren mit den Materialien der Tenge-Familie. »Ich habe mit vielen privaten Archiven zu tun. Das Tenge-Archiv ist aber ein Glanzstück - ich habe noch nie ein so umfangreiches Archiv in einer bürgerlichen Familie gesehen.« Das zeigt sich im Anhang des Buches: 50 Seiten Quellenverweise, Literaturnachweise und Anmerkungen sind entstanden.
Groß geworden im Zimmermanns- und Schmiedehandwerk, dann tätig als Kramer und Kaufleute - so beginnt die Geschichte in Osnabrück mit Johann Tenge alias Johann von Ibbenbüren, der als Zimmermann arbeitete und 1611 starb. Die Osnabrücker Linie stirbt 1897 aus, das große Geschäft mit dem Tabak wurde 1810 unter dem Einfluss Frankreichs beendet, das das staatliche Tabakmonopol hatte. Obwohl der ostwestfälische Teil der Unternehmerdynastie, der 1810 mit Friedrich Ludwig Tenge beginnt, für diese Region viel spannender ist, erfährt der Leser viel zur strategischen Rolle Osnabrücks. Das Amt Reckenberg als Osnabrücker Enklave und der Kreis Wiedenbrück, der zum Bistum Osnabrück gehörte, zeugen von engen Verbindungen.
Als Spekulanten bezeichnet Carl Friedrich Tenge-Rietberg seinen Ahn. Eine ganze Grafschaft kaufen zu wollen, mutete nicht nur dem Vater von Friedrich Ludwig als höchst riskant an. Vorweg hatte Friedrich Ludwig 1814 das Gut Niederbarkhausen im lippischen Oerlinghausen erworben. Dort steht noch heute das Mausoleum, die letzte Ruhestätte der Tenges. Von diesem Wohn- und Verwaltungssitz streckte er seine Fühler in die Grafschaft Rietberg aus, pachtete zuerst den Holter Wald und mit seinem Bruder Güter in der Grafschaft. Die preußische Landesregierung stellte sich anfangs quer, das Fürstentum Liechtenstein stellte Ansprüche. Dass ein Bürgerlicher eine Standesherrschaft erwirbt, war ein Skandal. Erst 1835 wurden alte Bindungen durch die westfälische Gesetzgebung aufgehoben, Tenge wurde Eigentümer und erwarb gleichzeitig die Patronate inklusive Baulast über die Kirchen in Rietberg, Neuenkirchen, Verl und Kaunitz, die erst 1890 abgelöst wurden. Vor 15 Jahren hat sich Carl Friedrich Tenge-Rietberg vom Rietberger Patronat abgelöst.
Die Glashütten Sengenthal, Marschallshagen und Rietberg, die Papierfabrik Dalbke und die Holter Eisenhütte - alles Gründungen der Tenges - markieren den Weg der Region in die Industrialisierung. Die Holter Hütte war der erste metallverarbeitende Industriebetrieb 1842, der die ganze Wirtschaftsregion prägen sollte.
Die Tenges sind evangelisch, bürgerlich und unternehmerisch - und das bestimmt noch heute ihr Selbstbild. So wurde die Kapelle des Holter Jagdschlosses, vor 350 Jahren der heiligen Ursula geweiht, evangelisch. »Wir heiraten meist katholische Frauen«, lacht Carl Friedrich Tenge-Rietberg. »Sie sind aufrecht, wissen, was sie wollen, und sind aufrechte Partnerinnen.« In vierter Generation wohnt die Familie in der Münte in Rietberg, ehemaliger Sitz der Landesregierung. »Die Familie ist großer Bestandteil des Rietbergerischen«, sagt der Archivar der Stadt, Manfred Beine. Wirtschaft

Artikel vom 04.12.2004