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15-Jähriger sticht
Gegner nieder

Provokation mündet in Gewalt

Von Hubertus Hartmann
Bad Lippspringe / Paderborn (WV). Der eine heißt Sergeji, der andere Erkan. Ein provozierender Blick, ein Stinkefinger - und schon hätte es beinahe einen Toten gegeben.

»Was guckst du?« Keine Comedy, sondern blutiger Ernst. In Bad Lippspringe wurde die Anmache zum Auslöser einer Messerstecherei. Der Täter war erst 15 Jahre alt. Wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilte ihn das Landgericht Paderborn gestern zu 21 Monaten Jugendstrafe Bewährung. Erkan (Namen geändert) muss zusätzlich 100 Sozialstunden leisten und ein Antiaggressionstraining absolvieren.
Sergeji (20) steht mit seinem Auto vor einer roten Ampel, als Erkan mit seiner Clique vorbei kommt. »Er hat eine rotzlöffel-lümmelhafte Art und spielt gern den großen Maxe«, charakterisiert Rechtsanwalt Dieter Cramer seinen jungen Mandanten. Völlig ohne Grund macht der Schüler den Deutschrussen hinterm Steuer mit Blicken und Gebärden an. Und der lässt sich auch prompt provozieren. »Der hat nicht freundlich geguckt«, sagt Sergeji. Es bleibt zunächst bei einer noch harmlosen Schubserei.
Doch das nächste Aufeinandertreffen der Kontrahenten zwei Wochen später endet für Sergeji im Operationssaal. Visuelle und verbale »Hahnenkämpfe« eskalieren in purer Gewalt. Sergeji verfolgt den auf seinem Fahrrad davon sprintenden Erkan mit dem Auto, verstellt ihm kurz hinter der Polizeiwache den Weg und stößt den Flüchtenden vom Rad. Aber sofort steht der Jüngere wieder auf den Beinen, stürzt sich auf seinen Gegner. Beide umklammern sich, und plötzlich hat der Ältere ein Messer im Rücken.
»Er hat mich zuerst angegriffen und wollte mich umbringen«, behauptet Erkan. »Es war Notwehr.« Eine Version, die das Gericht nicht glaubt. »Die Kammer ist überzeugt, dass der Angeklagte selbst das Messer gezogen hat«, betont Richter Stefan Schäfer. Eine Tötungsabsicht mag er Erkan indes nicht unterstellen. »Ein solcher Stich kann aber durchaus tödlich sein«, macht Staatsanwalt Karl Oppenkamp deutlich.
Sergeji hatte Glück, dass die nur fünf Zentimeter lange Klinge von einer Rippe abprallte und seine Lunge unverletzt blieb. Er musste allerdings operiert werden und lag eine Woche im Krankenhaus.
Eine wirkliche Erklärung für den Gewaltausbruch können weder Psychiater noch Sozialarbeiter liefern. Erkan habe ein gewisses Aggressionspotenzial und springe deshalb schnell an, wenn ihn nur jemand schief anschaue. Verteidiger Cramer verweist auf die Sprachbehinderung Erkans, der seit seiner Kindheit stottert. »Weil er sich verbal nicht gut verteidigen kann, lässt er eben die Fäuste sprechen.«

Artikel vom 03.12.2004