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Von Manfred Stienecke

Paderborner
Perspektiven

Torpedo der Feierabendpolitik


Mit dem Ersten Adventssonntag beginnt an diesem Wochenende wieder die Einstimmung auf das Weihnachtfest. Die meisten Familien nutzen den Tag zu einem Bummel über die Weihnachtsmärkte, sie besuchen Advents-Basare und Konzerte oder vergessen den Alltagsstress bei einem Spaziergang durch die spätherbstliche Landschaft - ein sonntägliches Vergnügen, das die etwa 130 Wahlhelfer der Stadt Paderborn auch gern genießen würden. Sie »dürfen« an diesem Ersten Advent für die ordnungsgemäße Durchführung des Bürgerentscheids zu den Kammerspielen sorgen.
In 15 Wahllokalen im Stadtgebiet können die Bürger an diesem Sonntag darüber abstimmen, ob der vom Rat der Stadt mit deutlicher parteiübergreifender Mahrheit gefasste Beschluss zum Neubau eines Theaters auf dem Grundstück der Volksbank wieder gekippt werden soll. Das nämlich fordern die Initiatoren des Bürgerbegehrens um den FBI-Vorsitzenden Hartmut Hüttemann, der zur Durchsetzung seiner politischen Ziele gern zu außerparlamentarischen Aktionen greift, wenn er in der Ratsabstimmung unterlegen ist.
Über die Notwendigkeit eines Theaterneubaus für die Kammerspiele ist in den vergangenen Wochen hinreichend berichtet und informiert worden. Der außerparlamentarische Versuch, das bei den gewählten Volksvertretern weitgehend unstrittige Projekt zu torpedieren, könnte deshalb gnädig belächelt werden, hätte die rot-grüne Landesregierung nicht in basisdemokratischem Übereifer ein Gesetz verabschiedet, das Partikularinteressen entscheidendes Gewicht einräumt. Bei einem Bürgerentscheid können 20 Prozent der Wahlberechtigten eine Rathaus-Mehrheit einfach überstimmen.
Der Demokratie wird mit solcherart plebiszitären Elementen ein doppelter Bärendienst erwiesen. Mit dem Instrument des Minderheiten-Votums in der Hand können Einzelgruppen im kommunalen Bereich nahezu jede Initiative blockieren. Von der Anlage eines Bolzplatzes über den Bau eines Theaters oder die Schließung eines Schwimmbades bis zur Verleihung einer Ehrenbürgerschaft ist keine Ratsentscheidung tabu. Wer genügend Unterschriften zusammen bekommt, kann die jeweiligen Beschlüsse an der Wahlurne kippen lassen - und braucht dazu nicht einmal die Mehrheit der Bürgerschaft.
Noch schwerer aber wiegt die schleichende Entwertung der ehrenamtlichen Ratsarbeit. Unsere in nun bald sechs Jahrzehnten im Großen und Ganzen bewährte Parteien-Demokratie wird durch die weiter geplante Erleichterung plebiszitärer Einsprüche ausgehöhlt. Kein Feierabendpolitiker wird es sich auf Dauer gefallen lassen, dass kommunale Mehrheitsentscheidungen, die mit erheblichem Zeit- und Kraftaufwand vorbereitet, erörtert und auf den Weg gebracht werden müssen, von einer kompromisslosen Minderheit weggefegt werden können. Schon heute leiden die bürgerlichen Parteien unter Mitgliederschwund und nachlassender Bereitschaft, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Das Mittel des Bürgerentscheids ist ein lähmender und zudem teurer Appendix der repräsentativen Demokratie - allein die Abstimmung über den Kammerspiel-Neubau verursacht der Stadt Kosten in Höhe von 45 000 Euro!
Angesichts solcher Überlegungen muss man den um ihren Ersten Advent betrogenen Wahlhelfern in den 15 Stimmlokalen einen ruhigen Sonntag wünschen. Wer den FBI-Antrag nicht unterstützen möchte, kann getrost zu Hause bleiben, da nur die Ja-Stimmen »zählen«. Die Nein-Stimmen, die - so absurd ist das Verfahren - für den Bau des Theaters abgegeben werden müssen, sind ohne Belang, so lange Hüttemann nicht mehr als 21 000 Urnengänger mobilisiert - und das ist nach der bisherigen Erfahrung eher unwahrscheinlich.

Artikel vom 27.11.2004