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Auffällig: Das riesige Lenkrad verfügt über einen aufgesetzten Hupkranz aus Metall.

Heckflosse hebt stolz den Bug

Siegfried Beyers Mercedes von 1967 ist noch Tag für Tag im Einsatz

Von Curd Paetzke (Text und Fotos)
Herford (HK). In den 60-er Jahren lief in Stuttgart eine Pkw-Baureihe vom Band, die sich als überaus beliebt und robust erwies: Als Mercedes »Heckflosse« ging sie in die Automobilgeschichte ein. Siegfried Beyer besitzt ein solch altes Schätzchen von 1967. Der Herforder ist also in einem Wagen unterwegs, der zwei Jahre vor der ersten bemannten Mondlandung gebaut wurde.

Im Innenraum des schwarz lackierten Fahrzeugs fällt zunächst das riesige Lenkrad - mit aufgesetztem Metall-Hupkranz - auf, das von seinen Dimensionen her an das Steuerrad eines Ozeandampfers erinnert. Nicht minder ungewöhnlich wirkt heute der säulenförmige Tacho. Der Clou: Ab etwa Tempo 50 beginnt sich eine Farbskala in dem Geschwindigkeitsanzeiger orange-rot zu verfärben, was in der Innenstadt zu bedächtiger Fahrweise mahnt.
Die »Heckflosse« der legendären Baureihe 110 hebt ihren steilen Bug noch stolz in den Fahrtwind. Der Bundesbahnbeamte a.D ist mit dem Mercedes Tag für Tag unterwegs. Wie viel die Limousine gelaufen hat, vermag Siegfried Beyer nicht genau zu sagen: »Es mögen an die 900 000 Kilometer sein.« Denn: Als er den Wagen 1973 von einem Herforder Taxiunternehmer geschenkt bekam, war in den Benz bereits die zweite Maschine eingebaut worden. Einige Jahre später konnte der Herforder günstig einen baugleichen Motor übernehmen, der erst 44 000 Kilometer abgespult hatte.
Der »230er« verfügt über einen Sechszylinder-Motor mit 120 PS. Die zwei Vergaser, die neben dem eimerhohen Luftfilter thronen, lassen sich reichlich Super plus munden, verzichten dafür aber auf einen Katalysator. Die Spitzengeschwindigkeit des Wagens liegt bei 175 Stundenkilometern. Ausgestattet ist der Benz mit einer Mittel- statt Lenkradschaltung, mit seitlichen Ausstellfenstern - und einem noch Original Blaupunktradio »Köln« mit daumendicken Stationstasten.
Natürlich hat an der »Heckflosse« der Zahn der Zeit genagt. »Zweimal«, sagt der Besitzer, »musste die Bodengruppe erneuert werden.« Die Versorgung mit Ersatzteilen ist nach Beyers Angaben kein Problem: »Der Markt ist gut bestückt, vieles kommt aus Kalifornien, wo aufgrund des sonnigen Klimas noch viele gut erhaltenen ÝFlossenÜ über die Straßen rollen.« Siegfried Beyer ist Mitglied im »VdH«, dem Verein der Heckflossenfreunde, der seinen Sitz in der Nähe von Nürnberg hat und eine eigene Clubzeitschrift herausgibt (Informationen: www. mercedesclubs.de). Die »Heckflosse« umfasste einst die Modelle vom 190er aufwärts bis zum großen 300 SE. Von den 230ern sind im Club noch 103 Exemplare in Deutschland registriert. »Natürlich«, schmunzelt Siegfried Beyer, »wird man oft angesprochen, ob man den Wagen verkaufen wolle.« Doch das kommt für den 66-Jährigen nicht in Frage: Der Benz diente ihm bei seiner Hochzeit als Brautwagen - und auch, als die Tochter heiratete, wurde sie in der »Heckflosse« kutschiert. Und wenn Siegfried Beyer die Türen des Wagens schließt, dann dürfte feststehen, dass der 230er noch so manche Familienfeier ansteuern wird: Es ist ein sattes »Plopp« zu vernehmen, das einem das Gefühl vermittelt, als würde man eine Tresortüre schließen . . .

Artikel vom 26.11.2004