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Faszination schlägt Tristesse

Box-Impressionen: Punktrichter sitzen vor hölzernen Schultischen

Von Marco Purkhart und
Wolfgang Wotke (Fotos)
Gütersloh (WB). Sie haben sich einfach im Unterbewusstsein festgefressen: Die faszinierenden Eindrücke, wenn Klitschko und Co. sich in atemberaubender Atmosphäre, glamourös in Szene gesetzt, dem millionenfachen Publikum vor der Mattscheibe präsentieren. »Das ist Boxen«, meint der Laie spontan und ganz automatisch.

Beeinflusst von dieser Vorstellung, kann der erste Besuch beim Amateurboxen schonmal zur Zerreißprobe werden. So auch beim nicht kommerziellen Ranglisten-Wettkampf in der heimischen Wiesenstraße, den der Box-Club Gütersloh traditionell am Totensonntag alljährlich ausrichtet.
Kaum in der Halle angekommen, möchte man schon wieder schockiert flüchten: Gleißendes Licht, kalte Wände, dumpfe Akustik, alles irgendwie ungemütlich - ein Ambiente zum Abgewöhnen. »Was ist denn hier los?«, grüßt im Hinterkopf instinktiv Henry Maske. Im Fernsehen ist das doch immer so spektakulär, hier sieht's aber nur schlicht nach Turnhalle aus. »Sollte ich nicht lieber wieder nach Hause gehen?«
Die innere Frust-Frage wird urplötzlich extern beantwortet: Überall gehen die Lichter aus, nur der Boxring wird wie durch einen Scheinwerfer-Spot hell erleuchtet und unmittelbar vom Auge fokussiert. Na also, das kommt dem Idealbild aus dem TV doch schon näher. Endlich etwas Gemütlichkeit, die den Zaudernden magisch auf seinen Platz herunterdrückt. Apropos Sitzgelegenheiten: Ziemlich viel frei, ringsherum. Voll besetzte Zuschauer-Ränge schauen anders aus.
Die relative Leere löst den nächsten Rückfall in den ungleichen Vergleich aus: Mini-Digicams statt SAT 1-Kameraflaggschiffe, raunendes Hintergrundrauschen statt leidenschaftliches Anheizen des US-Moderators - und die Punktrichter hocken hinter hölzernen Schultischen. Die Irritationen sind groß. Dass sich der Auftakt-Fight an diesem Sonntag noch dazu um zehn Minuten verzögert, strapaziert die Geduld des Wartenden zusätzlich.
Wohl oder übel muss man sich mit der Feststellung abfinden: Das Drumherum bei lokalen Amateurbox-Veranstaltungen und Weltklasse-Events steht in keiner Relation zueinander. Aber eine innere Stimme mahnt zur Toleranz: »Vielleicht hat auch die ungewohnte Szenerie in der Wiesenstraße seine Reize.«
Und tatsächlich: Der erste von insgesamt zehn Kämpfen fördert prompt ein Aha-Erlebnis zutage: Da beharken sich zwei zwölfjährige Jungs, die nicht einmal über die Ring-Seile hinwegblicken können. Dabei geht's erstaunlich forsch zur Sache. Das bekommt man im Fernsehen nicht geboten. Eine erfrischende Abwechslung.
Im dritten Duell läuft der erste Gütersloher auf: Juldas Eisaew stellt sich dem Mindener Westfalenmeister im Federgewicht, Oleg Harder. Auf einmal steigt auch die Stimmung in der Halle spürbar: Die Anfeuerungsrufe peitschen den in Schwarz-Gelb gekleideten BCG-Schützling zum unerwartet deutlichen Punktsieg über den eigentlichen Favoriten. Auch die Klubkollegen Peter Kröning und Dennis Garbe können sich durchsetzen - ein echter Heimsieg für die Dalkestädter, der den nach anfänglicher Ernüchterung nun wohltuenden Lärmpegel konstant hält. So langsam findet man echten Gefallen an seiner Sonntagabend-Beschäftigung.
Zumal die Leistungen der Sportler wirklich beeindruckend sind: Schnell, kraftvoll, elegant. Das hat was. Am Ende, nach zwei abwechslungsreichen Stunden, ist die Skepsis gewichen. Der Abstecher hat sich gelohnt: Boxen ist eine Alternative zum Volkssport Fußball. Man muss den Blick nur fest genug auf die athletische Attraktion im Ring richten, statt sich lange an den äußeren Gegebenheiten anzustoßen. Fazit: Faustkampf-Faszination bezwingt letztlich Turnhallen-Tristesse.

Artikel vom 23.11.2004