19.11.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Dem Fädenspinner auf der Spur

Erste große Biographie über Ex-Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld (WB). Als er 1937 aus der Position des Teilhabers der Privatbank Delbrück Schickler & Co. in den Vorstand der Deutschen Bank gewechselt ist, war das für Hermann Josef Abs finanziell ein Abstieg. Der 36-jährige nahm den Posten trotzdem an und rückte so ins Zentrum der Macht.

Abs, 1901 in Bonn geboren, hat seine Karriere in der Weimarer Zeit begonnen. Er setzte sie trotz Distanz zu den Schergen des Dritten Reiches auch unter dem Nationalsozialismus fort. Nach einer kurzen Unterbrechung am Ende des zweiten Weltkrieges prägte Abs schließlich an der Spitze der Deutschen Bank ein System, das - als »rheinischer Kapitalismus« verspottet - die deutsche Wirtschaft bis in die neunziger Jahre bestimmt hat. Als er 1994 starb, hatte er sich zum Mythos gemacht. Doch zeitgleich hatte sich die Deutsche Bank - »sein« Institut - selbst bereits von dem Prinzip »Konsens statt Konflikt« entfernt.
Abs liebte es, Fäden zu spinnen. Der angesehene Frankfurter Historiker Lothar Gall hat ihnen bis in sehr kleine Verästelungen nachgespürt. Seine jetzt erschienene Biographie »Der Bankier - Hermann Josef Abs« beschreibt darum nicht nur die Person, sondern ein wichtiges Stück Zeitgeschichte.
Konnte jemand in der Position von Abs, der im Vorstand der Deutschen Bank für das Auslandsgeschäft verantwortlich war, im Dritten Reich Karriere machen, ohne zum Täter zu werden? Ja, sagt Gall. Und seine Studien lassen keinen anderen Schluss zu. Zwar war Abs an Zwangsenteignungen beteiligt. Er respektierte aber - unter den Bedingungen des Systems - die Interessen der jüdischen Eigentümer, wie viele nach 1945 bestätigten. »Wo ständig nach der ÝArisierungÜ verlangt wurde, musste schließlich Vollzug gemeldet werden«, schreibt Gall. »Das Spektrum reichte dabei von schamloser Bereicherung unter radikaler Ausnutzung der bestehenden Gesetze und der Zwangslage der von ihnen Betroffenen bis zu den - eher seltenen - Fällen, bei denen sich die ÝArisiererÜ geradezu als Treuhänder jüdischen Eigentums und dessen Besitzern verstand.« Abs gehörte, so der Historiker, zu der zweiten Gruppe.
Gleichwohl nutzte die Deutsche Bank auch bereitwillig die Chancen, die sich ihr durch die Eroberungen von Hitlers Armee im Ausland ergaben. Scharf kritisiert wurde Abs zeitweise von Historikern aus den USA und der DDR, die ihm seine Aufsichtsratstätigkeit bei der IG Farben zur Last legten. Deren Tochterfirma Delgesch produzierte das Gift Zyklon B, mit dem die Juden in Auschwitz vergast wurden. Abs erklärte nach dem Krieg, vom IG Farben-Vorstand über diesen Sachverhalt nicht informiert worden zu sein. Galls akribische Recherchen legen den Schluss nahe, dass dies der Wahrheit entspricht.
Abs, der als rheinischer Katholik und Bildungsbürger dem Nationalsozialismus auch gefühlsmäßig fern stand, hatte zeitweise sogar Kontakt zu Widerständlern insbesondere aus dem Kreisauer Kreis. Anders als die meisten Zeitgenossen bekannte er später, er habe eine Menge gewusst, aber aus Angst weggeschaut.
Die Angst war verzeihlich. Eine kurze Zwangspause nach dem Zusammenbruch, dann setzte Abs seine Karriere in der Deutschen Bank fort. Er wurde Vorstands-, später Aufsichtsratsvorsitzender. Sein Ansehen reichte weit über die Grenzen der Bonner Republik hinaus. Der Rat des »Weltbankiers« war noch gefragt, als er schon lange im Ruhestand lebte. Galls Biographie endet mit einem Kapitel über AbsÕ umfangreiches Engagement als Kunstmäzen.

LOTHAR GALL: Der Bankier Josef Abs, 526 Seiten, Verlag C.H. Beck, 29,90 Euro.

Artikel vom 19.11.2004