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Das Wort zum Sonntag

Von Gemeindereferentin Dorothee Busse


Ein wichtiges Symbol in der Bibel ist das Gegensatzpaar Höhe und Tiefe/Berg und Tal. Berge versperren dem Menschen Wege. Sie erscheinen als Bergmassiv oder als Bergkette mit vielen Berggipfeln. Für Menschen früherer Zeiten mag der Respekt vor den Bergen größer gewesen sein als heute. Sie waren ein Naturwunder, das in seiner Macht und Majestät dem Menschen seine Vergänglichkeit und seine Bedeutungslosigkeit zum Bewusstsein brachte. Deshalb wurden Erhebungen und Höhen oft als Ort für den Bau von Heiligtümern gewählt, herausragende Berge als Sitz von Göttern verehrt.
Die Eigenschaften von Bergen und ihre Wirkung auf den Menschen fordern zu Vergleichen heraus, die in unserer Alltagssprache gang und gäbe sind. Berge stellen ein Hindernis dar und sind oft schwer zu überwinden, deshalb steht man in manchen Lebenssituationen da »wie der Ochs vor dem Berg«. Es können sich aber auch »Berge von Arbeit« (oder anderem!) anhäufen, die kaum zu bewältigen sind. Berge stehen unbeweglich an einem Ort, von Ewigkeit zu Ewigkeit - wie es scheint. Sie werden so zum Sinnbild für menschliche Stabilität und »felsenfester Überzeugung«. Herausragende Begegnungen mit Gott finden auf dem Berg statt, wobei Gott aus der Höhe auf den Berg kommt. Somit übersteigt seine Hoheit alle realen Berge.
Auch das Wirken des Mose beginnt am Fuße eines Berges mit seiner Berufung und der Offenbarung Gottes im brennenden Dornbusch. Das Leben des Mose endet auch auf einem Berg, dem Berg Nebo. Von dort aus lässt der Herr Mose das Land schauen, das er Abraham, Isaak und Jakob versprochen hat. Danach stirbt Mose. Im Buch des Propheten Jesaja (33,5) oder im Psalm 68 (68,17) lesen wir: »Gott wohnt in der Höhe« oder es ist die Rede vom Berg, »da Gott Lust hat zu wohnen«.
Höhe und Tiefe -
Kontrastsymbole
Im Neuen Testament hören wir bei Matthäus von der Versuchung Jesu in der Wüste. Hier steigt der Satan mit Jesus »auf einen sehr hohen Berg« und zeigt Jesus die Reiche der Welt, um ihn zum Bösen zu verführen. Ebenfalls bei Matthäus finden wir die sogenannte »Bergpredigt«, in der es heißt: »Als er die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg... Dann begann er zu reden und lehrte sie...« (Matthäus 5,1 f).
Die gegensätzlichen Begriffe Höhe und Tiefe tauchen auch symbolisch in unserer Alltagssprache auf. So sprechen wir von der Höhe des Tages, aber auch von der Höhe des Lebens. Die Stimmung eines Menschen kann »himmelhoch jauchzend« oder auch »zu Tode betrübt sein«. Es gibt Stimmungshochs und -tiefs. Der Mensch kann in einen tiefen Abgrund stürzen, in die Tiefe geraten oder aus der Tiefe rufen. Seine Erfahrungen können die der abgrundtiefen Angst und Verlassenheit sein.
In Psalm 130 lesen wir »Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir: Herr, höre meine Stimme!« Der Beter ist tief unten und er versucht durch lautes Rufen sich bei Gott Gehör zu verschaffen. Hier ist der Punkt, wo die Klage in Hoffnung umschlägt. Es ist, als ob der Betende - am tiefsten Punkt angelangt - sich langsam erhebt und seinen Blick wieder nach oben richtet. Es folgt eine Aussage, die Gewissheit gibt: »Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient.« In diesem Psalm scheint die Erfahrung der Tiefe die Erfahrung von Schuld zu sein. So sprechen wir bis heute von »der Tiefe der Schuld«.
Gottes Macht reicht bis in die Tiefe, denn Christus ist in die Tiefe gegangen und hat sie durchlitten. Er wurde nicht in diese Tiefe geworfen, sondern er ist den Weg bewusst und freiwillig gegangen (»Er entäußerte sich und nahm Knechtsgestalt an... er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz«, Philipper 2,7 f). Tiefe kann sowohl die Tiefe des Menschseins als auch die Tiefe des Todes sein. Beschreibt die biblische Überlieferung Menschen auf dem Berg, so ist es immer ein relatives und ein vorübergehendes »Hoch-sein«. Christus ist der einzige, dessen »Erhöhung« als ein Gott-gleich-sein gedeutet wird. Er sitzt zur Rechten Gottes, so wird es im Glaubensbekenntnis ausgedrückt. Er hat die äußerste Tiefe und die höchste Höhe erreicht.

Artikel vom 13.11.2004