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Schwer bepackte Rucksacktouristen haben Masuren als Urlaubsziel entdeckt.

Eldorado für Segler
am Ostrand Europas

Lötzen ist das Zentrum der Masurischen Seenplatte


Der Wind bläht Vor- und Großsegel, das Boot neigt sich leicht zur Seite und nimmt Fahrt auf. Nur noch das leise Rauschen des Kielwassers ist zu hören. Und selbst die beiden Wespen, die uns seit dem Ablegen vom Steg genervt haben, geben auf und lassen sich von der Brise zurück ans Land bringen. Nichts und niemand stört mehr, vor uns liegt die Weite des Kisainsees, einer von Dutzenden rund um das Städtchen mit dem unaussprechlichen Namen Giszycko, dem früheren Lötzen.
Es ist Spätsommer und wir sind in Masuren. 1 200 Kilometer Autofahrt liegen hinter uns, gut zwei Drittel davon auf polnischen Landstraßen. Die sind wesentlich besser als ihr Ruf - und bestimmt nicht schlechter als viele Schlaglochpisten im Kreis Herford. Und: Seit dem EU-Beitritt wird das Straßennetz unseres östlichen Nachbarlandes massiv ausgebaut. Von Horrormeldungen und Kalauern (»Fahren Sie nach Polen, ihr Auto ist schon da«) haben wir uns nicht abschrecken lassen. Dafür besteht auch wenig Anlass, in den kleinen Städten an der Masurischen Seenplatte gibt es überall bewachte Parkplätze, ebenso an den Charterhäfen und Ferienhausanlagen. Die Metropolen Warschau oder Danzig mögen unsicheres Terrain sein. Das Risiko, Opfer von Langfingern und Autodieben zu werden, ist aber auch dort nicht höher als in Hamburg oder Berlin, von Tourismuszentren im sonnigen Süden ganz zu schweigen.
Zeit mit weiteren Vorurteilen aufzuräumen, wird's auch, wenn man durch die Ortschaften in Masuren schlendert. Hier wirft niemand eine Zigarettenkippe aufs Pflaster, Bierdosen oder anderen Unrat sucht man hier vergebens. Alles ist geradezu peinlich sauber und gepflegt - ostwestfälische Städte können da nicht mithalten.
Aber bleiben wir objektiv, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Krieg und sozialistische Misswirtschaft haben ihre Spuren hinterlassen. Von der historischen Bausubstanz ist vielerorts nichts übrig, Plattenbauten säumen die Stadtkerne.
Aber Nikolaien ist doch wunderschön, werden Masuren-Reisende protestieren. Ich war nicht begeistert. Zu sehr auf den Tages- und Bustourismus ausgerichtet, in einer Stunde hat man gesehen, was man sehen muss.
Lösken hat mir persönlich besser gefallen. Es ist das absolute Wassersportzentrum inmitten der Masurischen Seenplatte, bietet all das, was an touristischer Infrastruktur notwendig ist. Umgeben von weitgehend unberührten Wäldern, durchschnitten von einem Kanal, der den Kisainsee mit dem Löwentinsee verbindet, ist das 30 000 Einwohner zählende Städtchen ein Geheimtipp für Urlauber. Zunehmend auch für ausländische Gäste, wie Dr. Thomas Kempa, Tourismus-Direktor der Kommune, beobachtet hat. Noch sind deutsche Busreisende, die ihre alte Heimat besuchen, in der Überzahl. Da diese Form des Tourismus aber irgendwann einmal nachlassen könnte, ist Dr. Kempa froh darüber, dass jetzt verstärkt Österreicher, Tschechen und Niederländer diese Erholungsregion entdecken. »Es kommen auch verstärkt Franzosen, Spanier und Italiener«, berichtet Dr. Kempa und vergisst auch nicht die jugendlichen »Rucksacktouristen«, die vor allem aus Deutschland anreisen. Die haben »keine Lust auf Partyurlaub im Süden. Sie kommen wegen der Schönheit der Natur«.
Die kann man vor allem auf der kleinen Halbinsel Piekna Góra genießen. Die Ferienhausanlage Labedzi Ostrow (Weißer Schwan) (mit Quartieren von bescheidenen Holzhütten bis zu gut ausgestatteten Häusern) liegt direkt am See, der Ausblick an schwedischen Gewässern kann nicht schöner sein. Ein Genuss sind die Piroggen mit Pfifferlingen, die in der Gastronomie von stets freundlichem Personal serviert werden. Hier kommen wir schnell ins Gespräch mit einheimischen Urlaubern, die Abende auf den herrlichen Terrassen des Lokals werden mitunter sehr, sehr lang.
Da tut die frische Luft gut, die wir uns dann wieder auf den Seen um die Nase wehen lassen. »Unser« Boot lag nur fünf Minuten Fußweg entfernt im Yacht Port Piekna Góra. Komplett für vier Personen ausgestattet für den Mehr-Tages-Törn, gepflegt und technisch auf der Höhe der Zeit, wie alle Schiffe der gut 70 Schiffe umfassenden Flotte. Verchartert werden sie zu Preisen, für die man in Deutschland nicht einmal ein Tretboot bekäme.
Apropos Preise: Gute Doppelzimmer sind schon für 25 Euro zu haben, Frühstück inclusive. Für ein schmackhaftes Abendessen mit Getränken haben wir im Schnitt nicht mehr als acht Euro auf den Tisch legen müssen.

Artikel vom 19.11.2004