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Manchmal sind vier Hände zu wenig

Mittwoch wird gefeiert: Westfälisches Kinderdorf »Niedersachsen« in Dissen besteht 25 Jahre

Borgholzhausen/Dissen (Felix). Manchmal reichen vier Hände einfach nicht aus, um all die Dinge zu tun, die notwendig wären. Manchmal aber sind vier Hände, die zum Beispiel dann trösten, wenn ein geliebtes Haustier gestorben ist, für Kinder auch eine ganz neue Welt und eine wertvolle Erfahrung. Wie bei Familie Vogelsang - einer von sieben professionellen Pflegefamilien des Westfälischen Kinderdorfes »Niedersachsen« in Dissen.

Der Tag hatte eigentlich gut begonnen. Auch, wenn Sammy, das kleine Filou der Familie, mit den Hausaufgaben zu kämpfen hat. Schwer sind die nicht - aber viel. Irgendwie sind ihm Pflegemama Sabine und seine neue Lehrerin doch auf die Schliche gekommen. Nun hat er »vergessene« Hausaufgaben nachzuholen. Neue Sitten für den Siebenjährigen, der, zusammen mit seiner Schwester, gerade mal seit sechs Wochen in der Familie lebt. Mit seinem neuen »Bruder« Jan, einem der zwei leiblichen Kinder von Sabine und Holger Vogelsang, versteht er sich blendend - vor allem vorm »Nintendo«. Ein liebenswürdiger kleiner Junge, höflich, frech, und mit großem Anlehnungsbedürfnis. Kein Kind, das irgendwie negativ auffiele. Und dennoch: »Alle unsere Kinder haben so ihr Päckchen zu tragen«, weiß Pflegevater Holger Vogelsang, der tagsüber als Handelsvertreter unterwegs ist. »Sammys leibliche Mutter steckte nach der Trennung vom Vater selbst in einer schweren Krise«. Das Jugendamt schritt ein und schuf mit Familie Vogelsang einen entspannteren familiären Rahmen, auf Zeit.
Sabine Vogelsang, die als Erzieherin schon viele Jahre in einem Kinderheim gearbeitet hatte, und ihr Mann hatten lange überlegt, Kinder zur Pflege aufzunehmen. »Am Kinderdorf hat uns dann vor allem die fachliche Beratung überzeugt«, erzählt die 42-Jährige. Ganz allein auf sich gestellt mit den vielschichtigen Problemen der Kinder fertig werden - das wollten sie nicht. In Dissen steht ihnen regelmäßig Sozialpädagogin Marlies Hoeft zur Seite. »Bei ihr haben wir bisher immer ein offenes Ohr gefunden«. Und dann ist da natürlich auch noch der Austausch mit den anderen Familien, die zum Teil schon seit vielen Jahren tätig sind.
Sammy und Jan sind gerade fertig mit dem Nintendo-Spielen, Franzi, Lara, Josi und Chris zurück vom Schwimmen - da klingelt das Telefon. Die Nachbarn. Eine Katze sei angefahren gefunnen worden. Und bald ist klar: Maus - der junge Familienkater. Eine Schar weinender Kinder versammelt sich um Mama Sabine, die selber um den Schwarz-Weißen trauert. Da wird auf dem Sofa eng zusammen gerückt. Da wird gegenseitig getröstet und miteinander geweint.
Und Sammy, der sich vergewissert, ob es wirklich »eure Katze« war, versucht mit seiner Strategie für Fröhlichkeit zu sorgen - indem er den Clown spielt. Die Mädchen nehmen ihm das ein wenig übel. Aber Sammy hat ja noch viel Zeit, verpasste Hausaufgaben nachzuholen.

Artikel vom 22.11.2004