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Geschwelgt in
Erinnerungen

Revue »Ich will Spaß« im Theater

Von Helga Ruß (Text und Fotos)
Herford (HK). Das vergangene, überaus veranstaltungsreiche Wochenende in Herford zeigte sich auf vielen verschiedenen Ebenen. Wurde bei MARTa eher schwere Kost serviert, ging es am Samstag Abend im Herforder Stadttheater unkompliziert zu. Die Zuschauer konnten herrlich in Erinnerungen schwelgen.

Die Zuschauer vergnügten sich mit dem Theaterjux »Ich will Spaß«, den die Komödie Kassel auf die Bühne brachte - eine komödiantische Revue der Achtziger Jahre, geschrieben und inszeniert vom norddeutschen Multitalent Dirk Böhling.
Der junge Autor, Schauspieler, Regisseur und langjährige Moderator bei Radio Bremen brachte wie vor zwei Jahren mit seiner Siebziger Jahre-Revue »Hossa« auch diesmal wieder ausgelassene Stimmung in den Zuschauerraum.
Keine Spur von reservierten Herfordern: Sie waren ein dankbares Publikum, öffneten sich ganz der guten Laune, klatschten im Takt und sangen und spielten mutig mit. Die Ohrwürmer der Achtziger, auch wenn sie schon zwanzig Jahre alt sind, waren schließlich den meisten noch in guter Erinnerung. Nenas »99 Luftballons«, herrlich interpretiert von der in Bielefeld aufgewachsenen, talentierten Frauke Büscher, wurden ebenso begeistert aufgenommen wie die Parodie auf das Modern Talking Duo.
Ja, die vielschichtigen Achtziger Jahre, sie waren trotz Barschel- Affäre, Alaska-Ölpest, dem menetekelhaften Tschernobyl und beginnender Arbeitslosigkeit für viele ein Spaß- und Luxus-Jahrzehnt. Das Markenbewusstsein wuchs, College-Schuhe, Karottenhosen und Swatch-Uhren wurden modern und auch der Lässig-Look einer Schimanski-Jacke. Die Ölbarone in Dallas trieben ihr Unwesen, Dr. Brinkmann operierte unaufhaltsam in der Schwarzwaldklinik und Udo Lindenberg wollte mit dem Sonderzug nach Pankow fahren.
An all das erinnert die Revue, die Dirk Böhling , der übrigens im nächsten Jahr Theaterdirektor an der Komödie Kassel wird, in einen raffinierten Inhalt packt: Er erfindet die Familie Wöhlermann, die unfreiwilligerweise das Fernsehprogramm ihrer Zeit nachspielen muss, weil Sohn Sven kurzfristig zu einem Fernseh-Casting als Moderator eingeladen wurde, er sich aber keine Anregungen aus dem laufenden Programm holen kann, da die Fernbedienung verschwunden ist.
So improvisiert die Familie in ihrem Wohnzimmer mehr schlecht als recht die einschlägigen TV-Sendungen und spielt sich begeistert durch das Programm, singt das Schlager-Repertoire von Dschingis Khans »Moskau« über Nicols »Ein bißchen Frieden« bis hin zu Grönemeyers »Männer« durch. Und der Zuschauer kann sich über falsche oder schräge Töne nicht beschweren, denn es sind ja Laien, die Familien-Mitglieder Wöhlermann halt, die dort oben agieren.
So macht gerade das Unperfekte den komischen Reiz dieses Stückes aus.
Die Zuschauer im vollbesetzten Stadttheater genossen die zwei Stunden leichter Unterhaltung und spendeten lang anhaltenden, rhythmischen Applaus.

Artikel vom 08.11.2004