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Küstenwache schützt Wellenreiter vor Höllenritt

Südafrikas Hai-Polizei zeigt dem »Räuber der Meere« Rote Karte

Von Ralf E. Krüger
Umhlanga Rocks (dpa). Wayne Monk hat überlebt. Nach einem Wellenritt vor Südafrikas Surf-Paradies Jeffreys Bay lag er auf seinem Surfbrett, als etwas am Bein zog. »Ich dachte: ÝWas zum Teufel ist los?Ü und wurde im nächsten Augenblick unter Wasser gezogen. Ich hatte mehr Angst vor dem Ertrinken als vor dem Hai«, berichtete der 34-Jährige nach seinem Abenteuer.

Verzweifelt befreite er sich, klammerte sich ans Surfbrett und schrie um Hilfe. Doch noch einmal wurde er unter Wasser gezogen, bis er endlich frei kam und an Land schwamm. Sein Fuß hatte Bissspuren, war aber noch heil. »Wäre es ein Weißer Hai gewesen, hätte er mich in Stücke gerissen«, meinte der Leiter von Südafrikas Surf-Nationalteam.
Wenige hundert Kilometer weiter östlich nickt Sheldon Dudley zustimmend. Der Wissenschaftler arbeitet am Natal Sharks Board (NSB), einer weltweit einmaligen Hai-Polizei, die in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen feiert. Dudley: »Wahrscheinlich war es ein sonst eher harmloser Hai, der sich provoziert fühlte und dann zugebissen hat. Attacken auf Menschen gehen eigentlich fast nur auf das Konto von drei Arten: dem Sambesi-, dem Tiger- und dem Weißen Hai,« sagt der Biologe.
Das Institut wurde 1964 nach mehreren tödlichen Hai-Attacken ins Leben gerufen. Seine Aufgabe: Der Schutz der Strände vor der Provinz KwaZulu-Natal. Ein Abschnitt von rund 320 Kilometern - fast ein Zehntel der gesamten Küstenlinie Südafrikas. Die Einrichtung war erfolgreich: Bis heute ist die Zahl der Hai-Attacken in der Region um 90 Prozent zurück gegangen. Zugleich hat das NSB umfangreiches Wissen über Haie gesammelt. Es arbeitet eng mit ähnlichen Einrichtungen in Australien zusammen und ist international die Referenzstelle für die Registrierung von Hai-Attacken.
»Im Schnitt kommen wir pro Jahr auf vier derartige Zwischenfälle«, sagt Dudley. In diesem Jahr waren es fünf: eine mit tödlichem Ausgang, eine mit schweren Folgen und drei eher harmlose. John Paul Andrew ist der Fall mit den »schweren Folgen«. Der 17-Jährige aus Kapstadt stand im September nach langer Pause erstmals wieder auf dem Surfbrett. Seine Haltung war noch etwas wacklig - die High-Tech-Prothese am rechten Unterschenkel ist gewöhnungsbedürftig.
Der Jugendliche war von einem Weißen Hai angegriffen worden. Aus der Tiefe des Meeres war er empor geschnellt, hatte in Surfbrett und Bein gebissen und war dann torpedogleich mit seinem Opfer durchs Wasser geschossen. Freunde bargen den Jugendlichen später schwer verletzt. Dass er trotz enormen Blutverlusts nach langem Koma überlebte, gilt als Wunder.
Das zerbissene Surfbrett behielt er als Souvenir. Beim Natal- Sharks Board wäre es eine willkommene Ergänzung der bestehenden Sammlung. In einer Art Museum hängen dort die stummen Zeugen von Hai-Attacken: Surfbretter mit halbkreisförmig ausgebissenen Stellen. Daneben Bilder von Wellenreitern, die auf ihren Surfbrettern liegend dem nächsten Adrenalin-Schub entgegenpaddeln. Sie müssen auf Haie eine faszinierende Wirkung haben: Aus der Tiefe des Meeres betrachtet ähnelt ihre Silhouette der einer Meeresschildkröte. Und die gehört zur Lieblingsspeise des Weißen Hais.
Er tummelt sich vor allem in den Gewässern um Kapstadt sowie vor der Ostkap-Provinz und steht spätestens seit Steven Spielbergs gleichnamigen Film aus dem Jahre 1974 im Ruf einer kaltblütigen Killermaschine.
Doch die Forscher vom NSB teilen diese Ansicht nicht, auch wenn er für die meisten tödlichen Unfälle verantwortlich gemacht wird. Sie versuchen, durch Aufklärung das negative Bild des Weißen Hai und das seiner Artgenossen zu korrigieren und verweisen auf ihre Bedeutung. Seit 400 Millionen Jahren tummeln sich die Raubfische in den Weltmeeren. Während seiner vergleichsweise langen Lebensspanne vermehrt sich der Hai nur sehr langsam.
Dabei sind sich Fachleute längst über die Bedeutung der Räuber fürs ökologische Gleichgewicht einig. Mit Sorge beobachtet man beim NSB die steigenden Hai-Fangzahlen. Weltweit werden pro Jahr nach Schätzungen 100 Millionen der Raubfische von Menschen getötet - 274 000 pro Tag. Auch beim NSB geht es bei der schwierigen Gratwanderung zwischen der Erfüllung des Mandats - dem Schutz von Surfern und Schwimmern - sowie der Erforschung und Aufklärung über den »Räuber des Meeres« nicht ohne Kadaver ab.
Der Grund: In den Netzen, die vom NSB regelmäßig ausgelegt, überprüft und repariert werden, verfangen sich jährlich 800 bis 2200 Haie. Sind sie tot, werden sie im Institut seziert - leben sie, werden sie mit Mini-Sendern zur Aufzeichnung ihrer Gewohnheiten versehen und dann befreit. »Wir haben so eine enorme Datenbank aufgebaut«, sagt Dhaven Narain. Nur einige wenige Institutionen in Australien oder den USA haben in den vergangenen Jahrzehnten einen derart großen Bestand an Informationen gesammelt. Sie sollen helfen, die Gefahr für Menschen zu mindern und das Wissen über die Haie zu mehren. »So richtig angefangen hat die wissenschaftliche Aufzeichnung allerdings erst 1978«, erinnert sich Sheldon Dudley.
Doch Geldmangel führte dazu, dass nicht jede Erkenntnis ausgewertet werden konnte. So identifizierten die NSB-Forscher bei der Untersuchung der Haifisch-Nase das darin befindliche Gel als eine Art Radar und entwickelten aus dieser Erkenntnis heraus ein Gerät zur Hai-Abwehr. Es wirkt wie ein elektrisches Feld - der Hai kann damit in seinem Umfeld auch schwache Impulse aufspüren. »Wir haben ein Gerät entwickelt, das ebenfalls elektrische Impulse aussendet, die den Hai stören. Aus Geldmangel mussten wir die Rechte zur Kommerzialisierung aber an eine australische Firma abtreten«, sagt Narain, während er vor zahlendem Publikum den Kadaver eines jungen Weißen Hais seziert.
www.sharkshield.com

Artikel vom 09.05.2005