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Von Pfarrer Jörg-Michael Reißer

Das Wort zum Sonntag


Wenn man nächtens wach liegt, erwischt es einen oft: Man überschlägt die kommenden Tage, vielleicht Wochen. Was kommt auf einen zu? Wird man allen Anforderungen gewachsen sein? Die Nachtgespenster der Sorge und Angst haben vollen Zugriff auf die eigene Person.
Werde ich alles schaffen? Was ist, wenn...? Gegen solche Gespenster sind wir machtlos. Da helfen keine Betäubungen und Tabletten, keine rationale Überlegung, kein Auf-die-Schulter-Klopfen eines Vorsemester an Erfahrungen. Das Herz zappelt in Ungewissheit.
Dem Menschen, von dem die Rede ist, falten sich die Hände, möglicherweise verkrampft und verzweifelt: Gott. Einzig das Gebet kann die Sorgen und Ängste überwinden, uns darin nicht untergehen zu lassen. Das Gebet ist gewissermaßen das Wurfgefäß, mit dem der Mensch die Sorge auf Gott und damit von sich wegwirft. „Es kann mir nichts geschehen, als was er hat ersehen und was mir selig ist“. Sorge und Angst wandeln sich in Vertrauen.
Eines der »seelsorgerlichsten« Worte der Bergpredigt lautet: Sorget nicht für den anderen Morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.
Sorge ist hier nicht mehr quälender und ängstigender Vorwegentwurf aller möglichen Fälle und Situationen. Sondern: Gott ermöglicht es, von Schritt zu Schritt zu leben, bruchstückhaft, mit liegen gebliebenen Sachen und offenen Fragen, mit eigenen Unzulänglichkeiten und Ängsten, ohne den Zwang, für alle Zukunft und alle Eventualitäten auf einmal vorsorgen und Sicherheiten schaffen zu müssen.
Dietrich Bonhoeffer sagt: »Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf ihn allein verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.«

Artikel vom 23.10.2004